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Prof. Dr. Manfred Zielke: „Psychischer Stress in der Handelsschifffahrt“

Erstellt von Manfred Zielke | | SOTASeminar

Themenabend der Staatlichen Seefahrtschule Cuxhaven – Fachschule Cuxhaven am 7. März 2012: In einer mit 80 Teilnehmern aus allen nautischen Bereichen mit nachhaltigen Erfahrungen aus der Schifffahrt gut besuchten Veranstaltung referierte Prof. Dr. Manfred Zielke über die Entstehungsbedingungen von traumatischem Stress in der Handelsschifffahrt und zeigte die Grundlagen eines Curriculums für nautisches Führungspersonal zur Krisenintervention nach Extrembelastungen auf.

Warum brauchen wir eine Ausbildung für nautisches Führungspersonal in Krisenbewältigung nach Extrembelastungen?

Spätestens seit dem 2. Bremer Workshop der Deutschen Gesellschaft für Maritime Medizin (DGMM) und der Hochschule Bremen, Fachbereich 6-Nautik im März 2003 ist formell unterstrichen worden, dass ein dringender Bedarf besteht zur Entwicklung möglicher Präventionsstrategien bei traumatischen Ereignissen in der Seeschifffahrt.

Die dort formulierten Empfehlungen DGMM (2003) beziehen sich neben einer Initiative für ein Forschungsvorhaben zur Erhebung der Anzahl traumatisierter Seeleute vor allem darauf, Massnahmen zur Psychischen Ersten Hilfe als Ausbildungsinhalte in die Anforderungen des STCW 95 für den Support-, Operational- und Management-Level sowohl für den nautischen Bereich wie für den technischen Bereich aufzunehmen. Ergänzend wurde von der Arbeitsgruppe darauf hingewiesen, dass posttraumatische Belastungsreaktionen sicherlich eine internationale Problematik in der Seeschifffahrt darstellen und dass daher die Entwicklung eines entsprechenden Curriculums zur Bestimmung der Ausbildungsinhalte erforderlich sei.

Jensen (2007) weist ergänzend darauf hin, dass in die neueste Ausgabe der „Anleitung zur Gesundheitspflege auf Kauffahrteischiffen“ ein Kapitel „Stressbelastung nach einem Seeunfall“ aufgenommen wurde. Diese Anleitung der Seeberufsgenossenschaft dient als Grundlage für die Krankenbehandlung an Bord von Schiffen ohne Schiffarzt. Die darin gemachten Ausführungen erfordern eine eingehende Schulung in der für Patentanwärter und Schiffsoffiziere vorgeschriebenen medizinischen Ausbildung.

„Hierzu erscheint es notwendig, ein entsprechendes Curriculum für die seefahrtsbezogenen Ausbildungsstätten zu entwickeln“ (Jensen 2007). Die inhaltliche Differenzierung eines solchen Curriculums und dessen Übersetzung in konkrete hochschulbezogene Veranstaltungen steht noch aus.

In seinen weiteren Ausführungen hebt Jensen hervor, dass eine notwendige Ausbildung von Schiffsoffizieren und Patentanwärtern im Umgang mit Stressbelastungen nach einem Seeunfall auch eine realitätsnahe Vorbereitung auf Extremsituationen und Extrembelastungen bedeutet. Eine derartige Vorbereitung in Verbindung mit fachlicher Führungskompetenz und vertrauensvoller Teamarbeit ist nach heutigem Kenntnisstand eine wichtige Voraussetzung zur Bewältigung traumatischer Belastungssituationen.

„Eine Schiffsbesatzung, die gelernt hat, zusammenzuarbeiten, sich gegenseitig zu unterstützen und eine gewisse soziale Bindung entwickelt hat, bietet die günstigsten Voraussetzungen, eine Notfallsituation zu bewältigen“ (Jensen 2007). Ob sich eine von ihm erhoffte veränderte Sicht der Führungsaufgabe nach der Durchführung präventiver Massnahmen bei extremen Stressbelastungen und langfristig betrachtet eine Veränderung der Führungskultur des Schiffsbetriebes im multikulturellen Kontext entwickeln wird, obliegt einer systematischen Langzeitbeobachtung.

In Anbetracht der aktuellen dramatischen Entwicklung zu Gewaltereignissen in der Seeschifffahrt und zunehmender Mobilität im Seeverkehr durch zweistellige Steigerungsraten im Kreuzfahrerbereich gewinnen Maßnahmen in Psychischer Erster Hilfe als Ausbildungsinhalte in der Seefahrtsausbildung an Bedeutung. Nicht wenige Schiffsführer sehen sich infolge tagelanger bzw. wochenlanger Geiselhaft nach Kaperungen nicht mehr in der Lage, weiterhin zur See zu fahren.

Hätte man sie besser darauf vorbereiten sollen? >>>Ja!

Würden Präventivmaßnahmen im Sinne einer Vorbereitung auf solche Ereignisse die Verarbeitung von Gewalterfahrungen verbessern oder gar langfristige Folgen verhindern? >>>Ja!

Zielke bezog sich bei seinen Ausführungen auf ein kürzlich erschienenes Buch, in dem alle notwendigen Informationen zur Erstellung von Fort- und Weiterbildungsinhalten für das nautische Führungspersonal in Bezug auf Maßnahmen der Psychologischen Ersten Hilfe zusammengestellt wurden, die geeignet sind, nautisches Personal für das Management von Extremereignissen mit hohem Gefährdungspotential zur Entwicklung traumatischer Reaktionsbildung zu sensibilisieren und zu schulen.

Dabei wurden die Themenbereiche Stress und Stressbewältigung sowie der Sonderfall des traumatischen Stresses und die Grundlagen der Notfallpsychologie und das Stressmanagement nach kritischen Ereignissen besonders hervorgehoben.

Die Systematik der potentiell traumatisierenden Ereignisbereiche beinhaltet den Schwerpunkt maritimer Belastungssituationen in der Schifffahrt und spiegelt den Facettenreichtum der maritimen Gefahren wider. Im praxisorientierten Teil des Vortrags wurden aus diesen Unterlagen abschließend Lernabschnitte definiert, die mit zugeordneten Lernzielen verbunden sind und eine komplette Liste der Einzelthemen enthalten, die für ein curriculare Abfolge der Ausbildungsinhalte verwendet werden können und sollten.

Der Abend schloss mit einer langen und intensiven Diskussion zum Themenabend, bei der eine Vielzahl eigener Erfahrungen mit allen Formen von Extrembelastungen von den Diskussionsteilnehmern offen und schonungslos eingebracht wurden.

Literaturhinweis:

Rademacher T, Zielke M (2009) Traumatischer Stress in der Handelsschifffahrt – Entwicklung eines Curriculums für nautisches Führungspersonal zur Krisenintervention nach Extrembelastungen. Science Publishers, Lengerich

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