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Ergebnisqualität und Gesundheitsökonomie

Zusammenfassung des Forschungsansatzes und sozialmedizinische Eckdaten

(Entnommen aus Zielke M, Borgart E J, Carls W, Herder F, Lebenhagen J, Leidig S, Limbacher K, Meermann R, Reschenberg I, Schwickerath J (2004) Ergebnisqualität und Gesundheitsökonomie verhaltensmedizinischer Psychosomatik in der Klinik. Krankheitsverhalten und Ressourcenverbrauch von Patienten mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen: Ergebnisse verhaltensmedizinischer Behandlung und Rehabilitation im Langzeitverlauf. Pabst Science Publishers, Lengerich.)

I. Entscheidungsorientierte Forschung

Die Notwendigkeit zur Eindämmung der Kosten im Gesundheitswesen leitet in immer stärkerem Maße einen Paradigmenwechsel in der Beurteilung medizinischer Behandlungsverfahren ein. Die traditionellen Formen der Evaluation von Therapiemaßnahmen  folgen noch primär den Zielen einer angewandten Grundlagenforschung und der Überprüfung von Hypothesen und Theorien zur Ätiologie, Pathogenese und Therapie von Krankheiten; sie sind damit in erster Linie erkenntnisorientiert. Die seit einigen Jahren auch in der Medizin eingeführten Kosten-Nutzen-Analysen sind dagegen entscheidungsorientiert und folgen vornehmlich pragmatischen Zielsetzungen. Dabei geht es darum, den Kostenträgern im Gesundheitswesen rationale Entscheidungsgrundlagen zur Steuerung und Finanzierung von Gesundheitsleistungen zu liefern.

Wenn man heute einen ausgesprochenen Mangel an Kosten-Nutzen-Studien in der Krankenversorgung konstatieren muß, ist dies letztlich auch das Ergebnis der Dominanz erkenntnis- und theorieorientierter Forschung in den Universitäten. Dabei werden wir angesichts der aktuellen Kostenentwicklungen im Gesundheitssystem eine qualifizierte Gesundheitsversorgung nur dann aufrechterhalten können, wenn das Kosten-Nutzen-Denken sich bis in die kleinsten und individuellsten Entscheidungsprozesse hinein entwickelt hat.

Kein Patient - gleichwohl ob er unter einer körperlichen oder psychischen Erkrankung leidet - muß in Deutschland über längere Zeit ohne Behandlung bleiben. Insbesondere die hohe ärztliche Versorgungsdichte garantiert eine rasche Versorgung ohne große Wartezeiten. Diese Vollversorgung ist verbunden mit einer gleichzeitigen Fehlversorgung von Patienten, die für den eigenen Gesundungsprozess lernen müssen, eigene Verhaltensmuster, Einstellungen und kritische soziale Situationen zu verändern, mehr Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und die medizinischen Ressourcen nur noch punktuell bei gezieltem Bedarf in Anspruch zu nehmen.

Es ist unter Zusammenführung der verschiedenen Interessen gelungen, die DAK als eine der führenden und innovativen Krankenkassen und qualifizierte medizinische Rehabilitationseinrichtungen zu gemeinsamen Fragestellungen und gemeinsamen Forschungsbemühungen zusammenzuführen.

In diesem Projektbericht werden die ersten Ergebnisse einer sozialmedizinisch angelegter Evaluationsstudie vorgestellt.  Ein solches Bemühen lohnt sich - und dies in einem doppelten Sinne: Neben der sozialmedizinischen Prognose des Einzelfalles werden die Ergebnisse auch die volkswirtschaftliche Bedeutung der medizinischen Rehabilitation und der stationären Verhaltenstherapie von psychosomatischen Erkrankungen belegen.

II. Zielsetzungen verhaltensmedizinischer Behandlung in der Klinik

Qualifizierte medizinische Rehabilitation zielt darauf ab, Einflußmöglichkeiten zu entwickeln, das Verhalten von Menschen im Umgang mit Krankheiten, Einschränkungen und Behinderungen zu verändern und sie in die Lage zu versetzen, den eigenen Gesundungsprozeß aktiv mitzugestalten und sich weniger gesundheitsschädigend zu verhalten. Nur ein verändertes Krankheitsverhalten der Patienten kann sich als langfristig wirksame Maßnahme zur Kostendämpfung erweisen. Die gezielte Förderung der Selbsthilfemöglichkeiten und ein kritischer Umgang mit dem medizinischen Versorgungssystem tragen zu einer adäquaten Inanspruchnahme ärztlicher Versorgung bei, die sich auf das medizinisch Notwendige konzentriert und die Patienten dann aber auch wieder aus dieser Hilfsbedürftigkeit entläßt.

Versorgungsstrukturen, die sich aus den inzwischen etablierten Konzepten der Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin ableiten lassen, bieten gute und erfolgversprechende Möglichkeiten, solche Veränderungen bei Patienten zu initiieren und zu stabilisieren, die sie zum Experten im Umgang mit der eigenen Gesundheit werden lassen und die langfristig die Abhängigkeit von medizinischen Versorgungsstrukturen auf das notwendige Maß reduzieren. Das nachfolgende von den Vertragsparteien initiierte und beschriebene Projekt soll wissenschaftlich begründete Hinweise dafür liefern, daß das Handlungsmodell des mündigen Patienten, der sich zum Experten im Umgang mit der eigenen Krankheit und Gesundheit entwickelt, auch volkswirtschaftlich einen Sinn macht und daß sich hierin nicht lediglich ein aktueller Modetrend abzeichnet.

III. Kooperation zwischen Sozialleistungsträgern, qualifizierten Kliniken und angewandten Forschungsansätzen

Die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) und die Psychosomatischen Fachkliniken Bad Pyrmont, Bad Dürkheim und Berus haben sich in einem gemeinsamen Untersuchungsvorhaben verpflichtet, die Langzeitveränderungen stationärer psychosomatischer Behandlungsmaßnahmen zu untersuchen.

Die Fachklinken arbeiten auf der Grundlage moderner Erkenntnisse der Verhaltensmedizin und verfügen über einen sowohl ärztlich als auch psychologisch erfahrenen Mitarbeiterstab, der seine klinische Behandlungspraxis durch eine fortlaufende wissenschaftliche Dokumentation für das gemeinsame Projekt zu Verfügung stellt.

Die DAK stellt dem Projekt die in ihren Versichertenunterlagen vorhandenen sozialmedizinisch relevanten Daten zur Verfügung.

Von dieser Zusammenarbeit werden Ergebnisse zu einer Veränderung im Gesundheitsverhalten der Versicherten (verminderter Ressourcenverbrauch) und zur Leistungsfähigkeit stationärer verhaltensmedizinischer Behandlungskonzepte erwartet.

Alle bei der DAK versicherten Patienten, die ab Projektbeginn in einer der drei Kliniken aufgenommen wurden, sind potentielle Projektpatienten. Dies gilt sowohl für Erwerbstätige als auch für mitversicherte Familienangehörige.

IV. Die klinische Untersuchungsstichprobe

Die Untersuchungs- und Befragungsinstrumente werden hinsichtlich ihrer Meßbereiche und in bezug auf ihre Gütekriterien (Reliabilität, Validität) beschrieben. Neben störungsspezifischen Fragebogen und Beurteilungsverfahren zur Erfassung des Krankheitsverhaltens und der Krankheitsbewältigung wird besonderen Wert auf die Erhebung von Arbeitsbelastungen und berufsbezogenen Problembereichen gelegt. Ein Abdruck der nicht unmittelbar zugänglichen Meßverfahren erfolgt im Anhang.

Im Rahmen des Katamneseprojekts wurden in den Psychosomatischen Fachkliniken Bad Pyrmont, Bad Dürkheim und Berus in dem Zeitraum vom 26.01.1999 (erste Aufnahmeuntersuchung) bis zum 22.02.2000 (letzte Entlassungsuntersuchung) die Daten erhoben, die Grundlage dieses Projektberichtes sind. Nach Abschluß der stationären Behandlung liegen die Aufnahmedaten von insgesamt 338 Patienten vor, die für das Projekt gewonnen werden konnten. Das entspricht einem Anteil von 63,9% der Gesamtstichprobe. Diese 338 Projektpatienten stellen die Untersuchungsstichprobe dar. Die restlichen DAK-Patienten sind aus verschiedenen Gründen nicht in die Projektstichprobe gelangt.

Die Vergleiche der Projektpatienten und der Nicht-Projektpatienten unter Berücksichtigung der wesentlichen soziodemographischen Daten (Berufsausübung, beruflicher Status, Schulbildung, Alter und Geschlecht) und einer Reihe sozialmedizinischer Variablen (Arbeitsunfähigkeit bei Aufnahme, Rentenstatus, dauer seit Erstmanifestation des Behandlungsleidens, Vorbehandlungen, Entlassungsart) ergaben keine signifikanten Unterschiede. Eine etwaige Positivselektion der untersuchten Patientenstichprobe konnte nicht festgestellt werden. Lediglich hinsichtlich der Dauer des stationären Aufenthaltes ergab sich eine um 6 Tage längere Behandlungsdauer bei den Patienten, die in das Projekt gelangt sind und die die Grundlage für die Untersuchung der Langzeitverläufe sein werden.

V. Sozialmedizinische Eckdaten der untersuchten Patienten im Vorfeld der stationären Behandlung

Unter Berücksichtigung der Merkmale, die mit einer positiven bzw. negativen Rehabilitationsprognose assoziiert sind (Lebensalter, Krankheitsdauer, Art der Vorbehandlungen, Behandlungsdiagnosen) sind die untersuchten Patienten als identisch anzusehen. Die Ergebnisse zu den Auswertungen der Projektpatienten dürfen somit mit einem hohen Grad der Berechtigung als repräsentativ für die Gesamtheit der Patienten angesehen werden, die als DAK-Versicherte oder als mitversicherte Familienangehörige in den drei Projektkliniken behandelt wurden.

42,8% der Patienten, die vor der Behandlung einer beitragspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgingen, sind bei der Aufnahme arbeitsunfähig geschrieben. Dieser Anteil hat sich in den letzten Jahren ständig erhöht. Während in der Studie von Zielke (1993) über stationäre Patienten von vor 10 Jahren der Anteil der AU-aufgenommenen Patienten noch bei 33,98% lag, bewegen sich die gegenwärtigen AU-Statistiken in den Projektkliniken auf einem Niveau von 42% bis 44%, wie aus den Jahresberichten der Kliniken hervorgeht.

Insgesamt sind die Anteile der Patienten, die bei der Aufnahme in die Klinik arbeitsunfähig geschrieben sind, zwischen den  einzelnen stationären Behandlungsdiagnosen eher gleich verteilt. Unter Berücksichtigung ausreichend großer Fallzahlen findet man den höchsten AU-Anteil mit 54,5% bei Patienten mit „rezidivierenden depressiven Störungen“, bei Patienten mit „somatoformen Störungen“ (53,3% AU) sowie bei Patienten mit „phobischen Störungen“ mit einem Anteil von 50,0% Arbeitsunfähiger.

Diese hohen Anteile arbeitsunfähig aufgenommener Patienten sind als Hinweis auf die teilweise hochgradigen sozialmedizinischen Problemkonstellationen zu werten. Sie werden ganz sicher die Diskussion zur „Akutbehandlung“ in der Psychosomatik und zum Rehabilitationsauftrag bei akut erkrankten Patienten mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen auf ein solides klinisches Fundament stellen können.

Von 304 Erwerbstätigen hatten 252 Patienten in dem zweijährigen Voruntersuchungszeitraum mindestens einen AU-Fall aufzuweisen (82,89%). Lediglich 17,11% der Erwerbstätigen waren in dieser Zeit nicht krank geschrieben. Insgesamt wurden 914 Arbeitsunfähigkeitsfälle registriert, die 43.162 AU-Tage zur Folge hatten.

Bezieht man das ermittelte AU-Geschehen auf alle Projektpatienten (also auch auf die Nicht-Erwerbstätigen), ergeben sich 2,70 AU-Fälle und 127,69 AU-Tage je Projektpatient. Bei Einrechnung aller erwerbstätigen Patienten ergeben sich 3,00 AU-Fälle je Patient und durchschnittlich 141,98 AU-Tage. Das sind immerhin 20 Wochen Krankschreibung innerhalb von zwei Jahren. In diese Relation einbezogen sind allerdings auch die 52 erwerbstätigen Patienten, die in dieser Zeitspanne keinen AU-Fall aufzuweisen hatten. Ohne diese Teilgruppe bei ausschließlicher Beachtung der Erwerbstätigen mit mindestens einem AU-Fall in der zweijährigen Vorgeschichte resultieren 3,62 AU-Fälle mit durchschnittlich 171,27 AU-Tagen je Patient. Mit 24,46 Wochen sind diese Patienten nahezu ein halbes Jahr im Mittel krank geschrieben. Das ist ein Viertel des gesamten Beobachtungszeitraumes!

Einzelne Krankheitsgruppen erhalten ihre sozialmedizinische Bedeutung und ihre gesundheitsökonomische Relevanz durch die Verbindung der Krankheitshäufigkeit (AU-Fälle) und der Dauer je Krankheitsfall. Häufige Erkrankungen mit jeweils kurzen Krankheitsdauern (wie in unserer Studie die Krankheiten der Atmungsorgane) verursachen insgesamt einen nur geringen Teil der Krankheitstage.

Seltene Krankheitsfälle (wie in unserer Studie die Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten) mit lediglich 5 AU-Fällen verursachen trotz einer extrem langen Krankheitsdauer je Fall von 245,80 Tagen nur 2,8% aller AU-Tage. Dies ist zwar fallbezogen die bei weitem längste Krankheitsdauer, sie ist auch hinsichtlich der 5 Krankheitsfälle ein sehr schwieriges Krankheitsbild. In unserer Untersuchungsstichprobe von Patienten spielt dieses Krankheitsbild eine sehr geringe Rolle.

Die durchschnittliche Krankheitsdauer von 111,21 Tagen je Krankheitsfall infolge psychiatrischer Erkrankungen in Verbindung mit der hohen Anzahl der Krankheitsfälle im Voruntersuchungszeitraum führt dazu, daß nahezu die Hälfte der entstandenen AU-Tage diesem Krankheitsbild zuzurechnen ist.

Man muß jedoch gleichzeitig auch darauf hinweisen, daß über die Hälfte (51,6%) aller AU-Tage der Patienten in der Projektstichprobe, die sich ja wegen psychischer und psychosomatischer Erkrankungen in einer der drei psychosomatischen Fachkliniken befinden, nicht durch psychiatrische Erkrankungen verursacht werden. Das diesbezügliche Krankheitsspektrum umfaßt letztlich alle Haupterkrankungsgruppen.

Die durchschnittliche Krankheitsdauer je Fall, über alle Diagnosegruppen berechnet, beträgt 47,22 Tage.

V.2. Arbeitsunfähigkeitsgeschehen im Vergleich

Faßt man alle Krankheitsgruppen hinsichtlich des AU-Geschehens zusammen, ergibt sich ein äußerst interessantes Bild: Mit 300 AU-Fällen je 100 erwerbstätigen Projektteilnehmern werden in dem vorgestellten DAK/AHG-Projekt um 35,8% weniger Krankheitsfälle festgestellt als dies in der Studie von Zielke vor 10 Jahren mit 468 AU-Fällen der Fall war. Die Krankheitsdauer je Fall ist mit 47 Tagen je Fall in der aktuellen Untersuchung jedoch 20 Tage länger als in der Vergleichsstudie mit 27 AU-Tagen je Fall. Dies ist eine um 74% längere durchschnittliche Krankheitsdauer. Unter Beachtung der beiden Kriterien AU-Fälle und AU-Dauer je Fall zeigen die Berechnungen, daß die jetzige Patientenstichprobe mit 14.198 AU-Tagen 21% mehr Krankheitstage verursacht als dies in der entsprechenden Erhebung vor 10 Jahren festgestellt wurde.

Dies ist ein insgesamt überraschendes Ergebnis: Obwohl die Patienten seltener krank geschrieben werden (d. h. weniger AU-Fälle registriert wurden), entstehen infolge dieser Krankschreibungen ein erheblich größerer Umfang an Arbeitsunfähigkeitstagen. Mit 47 zu 27 AU-Tagen je Krankheitsfall sind die Patienten der aktuellen Studie fast 3 Wochen länger arbeitsunfähig. Besonders augenfällig tritt dieser Umstand im AU-Geschehen infolge psychiatrischer Erkrankungen in Erscheinung. Mit durchschnittlich 111 Tagen je AU-Fall (15,8 Wochen) ist die fallbezogene Krankheitsdauer im Vergleich zu den von Zielke (1993) berichteten Daten von 51 AU-Tagen je Fall um 117% länger als vor 10 Jahren.

Die jetzigen Patienten der Untersuchungsjahre 1999 und 2000 werden seltener krank geschrieben (weniger AU-Fälle) und sind gleichzeitig im Falle einer Krankschreibung wesentlich länger krank. Daraus resultiert trotz geringerer Krankheitsfälle eine um 20 Prozent höhere Anzahl von Krankheitstagen.

Ob sich hierin ein gesundheitspolitischer Trend abzeichnet oder ein Selektionsprozeß hinsichtlich der für stationäre Behandlungen indizierten Patienten kann auf dieser Datenbasis nicht beantwortet werden. Eines jedoch zeigen die Ergebnisse ganz eindeutig. Die Patienten sind seltener arbeitsunfähig, dafür aber um so länger. Auch hinsichtlich der damit verbundenen Arbeitsunfähigkeitskosten zeichnet sich insgesamt ein wesentlich höherer Ressourcenverbrauch ab.

V.3. Stationäre Akutbehandlungen

Insgesamt waren bei den durch die DAK registrierten Unterlagen im Zeitraum von zwei Jahren vor der psychosomatischen Behandlung 190 Krankenhausbehandlungsfälle registriert. Von den 338 Projektpatienten hatten 219 Patienten (64,8%) in dieser Zeitspanne keinen Krankenhausaufenthalt zu verzeichnen. 119 Patienten (35,2%) wurden mindestens einmal akutstationär aufgenommen und behandelt. Der Anteil der Patienten mit mindestens einem KH-Fall in der unmittelbaren Vorgeschichte liegt nach diesen Ergebnissen um etwa 10% niedriger als in der Studie von Zielke (1993), dessen Analysezeitraum etwa 10 Jahre zurückliegt.

Der Gesamtumfang der durch die 190 KH-Fälle entstandenen KH-Tage beträgt 3.867 stationäre Behandlungstage.

Bezieht man dieses Krankenhausgeschehen auf die Gesamtzahl der Projektpatienten, ergeben sich 0,56 KH-Fälle für jeden der 338 Patienten und 11,44 KH-Tage. Betrachtet man ausschließlich diejenigen Patienten, die im Voruntersuchungszeitraum mindestens einmal im Akutkrankenhaus aufgenommen und behandelt wurden (das sind 119 Patienten), resultieren daraus 1,6 KH-Fälle mit einem Umfang von 32,5 KH-Tagen je Fall. Das bedeutet, daß diejenigen Patienten, die mindestens einmal akutstationär aufgenommen wurden, in den zwei Voruntersuchungsjahren insgesamt 32,5 Tage im Krankenhaus verbracht haben.

V.4. Krankenhausfälle im Vergleich

Die Anzahl der KH-Fälle in unserer aktuellen Studie beträgt 56,2 KH-Fälle je 100 Projektteilnehmer und sie ist damit um etwa 30 Prozent niedriger als in der Untersuchung von Zielke (1993), bei der 81,9 KH-Fälle je 100 Projektteilnehmer festgestellt wurden. Ähnliche Relationen ergeben sich bei den entstandenen KH-Tagen. In der DAK/AHG-Studie werden 1.144,1 KH-Tage je 100 Projektteilnehmer verursacht im Vergleich zu 1.802,2 KH-Tagen in der damaligen Untersuchung. Der Umfang der KH-Tage bezogen auf je 100 Patienten liegt damit in unserer aktuellen Studie um 36,5% niedriger. Auch die durchschnittliche Behandlungsdauer im Akutkrankenhaus ist mit 20,4 Tagen zu 22,0 Tagen um 1,6 Tage kürzer. Diese stationäre Aufenthaltsdauer im Akutkrankenhaus und deren Veränderung in den letzten 10 Jahren liegt jedoch weit oberhalb der allgemeinen Entwicklung.

V.5. Ambulante Arztkontakte

Zwei Jahre vor der Aufnahme in die psychosomatische Klinik ergeben sich insgesamt 25,27 ambulante Arztkontakte. Hieran sind an erster Stelle die „Allgemeinmediziner“ mit 8,01 Kontakten beteiligt. Bereits an zweiter Stelle rangieren ambulante Kontakte mit Psychotherapeuten mit 5,45 Kontakten und an dritter Stelle etwa gleichhäufig Kontakte mit Nervenärzten (1,94), mit Internisten (1,88) und mit Zahnmedizinern (1,85).

Im letzten Jahr vor der stationären Verhaltenstherapie steigt die Kontaktfrequenz wie erwartet deutlich an. Sie ergibt insgesamt 40,22 Kontakte mit einer Steigerung um 59,16%. Auch im letzten Jahr vor dem therapeutischen Klinikaufenthalt liegen die Kontakte in der allgemeinärztlichen Praxis mit 11,27 Kontakten an vorderster Stelle, gefolgt von ambulanten psychotherapeutischen und nervenärztlichen Konsultationen.

Die Steigerung der Arztkontakte variiert über alle Fachbereiche mit jeweils unterschiedlichen Zuwachsraten. Die Verdichtung der Kontaktfrequenzen entsteht ganz sicher zu einem wesentlichen Anteil durch fachärztliche Ausschlußuntersuchungen und neurologisch-psychiatrische-psychotherapeutische Befundungen zwecks Indikationsstellungen für eine mögliche stationäre Behandlung.

V.6. Ambulante Arztkontakte im Vergleich

Der Gesamtumfang der Praxiskontakte in der aktuellen Untersuchung entspricht weitgehend den von Zielke (1993) berichteten Ergebnissen. Allerdings ist in der DAK/AHG-Studie die Frequenz der auftretenden psychotherapeutischen Kontakte mit 5,45 im Jahr 2 und 9,50 im letzten Jahr vor der Klinikbehandlung wesentlich höher.

Zweifelsohne können wir bei den untersuchten Patienten von einer ausgeprägten Dichte der Praxiskontakte sprechen. Der Gesamtumfang von 25,27 Praxiskontakten im Jahr 2 vor der Aufnahme und von 40,22 Kontakten im Jahr 1 vor der Aufnahme mit insgesamt 65,49 Praxiskontakten in zwei Jahren entspricht weitgehend den Erhebungen von vor 10 Jahren. Allerdings ist der Anteil von ambulanten psychotherapeutischen Kontakten in dieser Vorphase des klinischen Aufenthalts mit 14,95 Psychotherapiekontakten (das sind 23,6% aller Ambulanzkontakte) wesentlich höher als im Untersuchugszeitraum von vor 10 Jahren (11,3%). Der Konsultationsumfang bei einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie entspricht mit einem Anteil von 11,8% in unserer Untersuchung ziemlich genau dem von Zielke (1993) berichteten Ergebnis (11,6%).

V.7. Medikamentenkonsum

Der zu erfragende Zeitraum für den Medikamentenkonsum umfaßt die letzten 4 Wochen vor der Aufnahme in die Klinik bzw. vor der Katamneseuntersuchung. Erfragt wird unter Verwendung der jeweiligen Medikamentenlisten der einzelnen Indikationsgruppen der Name des Medikaments, die Darreichungsform, die Packungsgröße, die Dosierung pro Tag und die Einnahmedauer in Tagen. Daraus wird die entsprechende Einnahmemenge errechnet. Für die spätere Datenverarbeitung erfolgt eine Ergänzung um die Zuzahlungsstufen und die Eingabe der siebenstelligen Pharmazentralnummer, die in einer entsprechenden Datenbank zur Verfügung steht. Aus dieser Pharmazentralnummer sind Ableitungen zur Kostenberechnung möglich, da ein Medikamentenkonsum pro Tag aus einer Packungsgröße von 100 preisgünstiger ist als aus einer Packungsgröße von 20.

82,9% der Männer und 87,5% der Frauen haben angegeben, im Erhebungszeitraum Medikamente eingenommen zu haben. Der Anteil der Konsumenten ist nach dieser Befragung deutlich höher als in der Studie von Zielke (1993). In dem damaligen Zeitraum lag der Anteil der Konsumenten bei den Männern mit 75,6% um 7,3% niedriger und bei den Frauen mit einem Konsumentenanteil von 80,0% mit 7,5% niedriger als in der jetzigen Erhebung.

Lediglich 13,6% der in unserer Untersuchung befragten 338 Patienten gaben an, keine Medikamente eingenommen zu haben.

Bei den insgesamt 292 Konsumenten gab es 356 Konsumfälle. Das bedeutet, daß ein nicht unerheblicher Anteil von Patienten Medikamente aus unterschiedlichen Medikamentengruppen eingenommen hat.

An erster Stelle der medikamentösen Verordnungen rangieren Antidepressiva bei 38,7% der Patienten. Die zweithäufigste Konsumgruppe sind mit 27,4% schmerzwirksame Medikamente. Gefäßwirksame Medikamente sind mit 13,4% und herzwirksame Medikamente mit 9,6% ebenfalls noch relativ häufig eingenommene Medikamentengruppen. Neuroleptika erhalten 10,9% der Konsumenten und Tranquilizer 7,5% der Konsumenten. Atemwirksame Medikamente rangieren mit 9,9% auf einem Mittelplatz.

Faßt man einmal die entsprechenden Gruppen zusammen, haben 57,1% der Patienten noch in den letzten 4 Wochen vor der Aufnahme in die Klinik psychotrop wirksame Medikamente eingenommen. Diese Wirkstoffgruppe wird ergänzt durch einen relativ hohen Konsumanteil von 27,4% bei Schmerzmitteln.

V.8. Dauer seit Erstmanifestation

Die Krankheitsdauer seit der Erstmanifestation einer psychischen oder psychosomatischen Erkrankung ist ein wichtiger Kristallisationspunkt zur Bewertung des „Chronischen Krankheitsverhalten“ von Patienten.

Die durchschnittliche Krankheitsdauer beträgt bei den 328 Patienten, bei denen wir über zuverlässige Angaben zu deren Krankheitsvorgeschichte verfügen, 7,29 Jahre.

Kurze Krankheitsverläufe (bis zu 1 Jahr: 17,21% und bis zu 2 Jahren: 18,1%) kommen nach wie vor nicht allzu häufig vor. Die Anteile von Patienten mit einer Anamnesedauer von 3 bis 4 Jahren sind mit 16,02% etwa gleichhäufig vertreten wie die nächstlängere Kategorie von 5 bis 7 Jahren mit 16,62%. Immerhin noch 9,5% der Patienten berichten über eine Krankheitsdauer von bis zu 10 Jahren. Bis zu 15 Jahre dauert es bis zum Beginn von stationären fachpsychotherapeutischen Behandlungen bei 5,64% der Patienten, bis zu 20 Jahren bei 6,80% und 7,42% der Patienten weisen eine Anamnesedauer auf, die länger als 20 Jahre beträgt.

Im Vergleich von zwei klinischen Behandlungsstichproben, deren Untersuchungszeiträume ziemlich genau 10 Jahre auseinanderliegen, zeigt sich eindeutig, daß die korrespondierenden Anamnesedauern nahezu identisch sind. Die Mittelwerte sind praktisch deckungsgleich und betragen in der Studie von Zielke (1993) 7,24 Jahre und in der aktuellen Studie 7,29 Jahre.

Wir bewerten die Ergebnisse dahingehend, daß die Krankheitsvorgeschichten derjenigen Patienten, die zur stationären Behandlung in eine psychosomatische Klinik kommen, sich hinsichtlich der prästationären Krankheitsdauer nicht verändert haben. Nach wie vor ist die ermittelte Zeitspanne von ein wenig mehr als 7 Jahren unter dem Gesichtspunkt eines gezielten Auffangens aktueller Krankheitsereignisse und unter der Perspektive eines Chronifizierungsrisikos als eindeutig zu lang zu bezeichnen. Möglicherweise kommen kurzfristigere Interventionen (von Beginn des Krankheitsgeschehens betrachtet) durch ambulante ärztliche und/oder psychologische Behandler eher zum Tragen und die stationär aufgenommenen Patienten sind bereits das Ergebnis einer Selektion unter dem Blickwinkel der bis dahin erfolglosen Bemühungen, das Krankheitsgeschehen zu verändern. Wegen des Mangels an sozialmedizinischen Daten aus ambulanten psychotherapeutischen Behandlungen sind entsprechende Vergleiche bedauerlicherweise nicht möglich.

V.9. Vorbehandlungen

Die Intensität und der Umfang an Untersuchungen und Behandlungen vor Beginn der stationären Verhaltenstherapie muß unter zwei Gesichtspunkten gesehen werden. Zum einen gibt es einen gewissen Aufwand an diagnostischer Klärung sowohl unter somatomedizinischer als auch unter psychiatrischer Perspektive, der als notwendig und angemessen angesehen werden kann. Andererseits beobachten wir bei einem nicht geringen Teil von Patienten, daß ein Übermaß an Vorbehandlungen und diagnostischen Klärungsversuchen als Teilaspekt des chronischen Krankheitsverhalten gewertet werden muß.

V.10. Stationäre Psychotherapie

Keine entsprechende Vorbehandlung in einer psychotherapeutisch-psychosomatischen Klinik wurde bei 71,8% der Patienten angegeben. Das bedeutet umgekehrt, daß 28,2% unserer Projektpatienten bereits mindestens einmal stationär psychotherapeutisch behandelt wurden.

Bei der Hälfte dieser Patienten wurde eine stationäre Psychotherapie registriert, bei weiteren 8,3% zwei Behandlungen, bei 10 Patienten (3,0%) drei Behandlungen und 9 Patienten (2,7%) hatten bereits mehr als drei psychotherapeutische Behandlungen in einer Klinik absolviert.

V.11. Ambulante Psychotherapie

70,7% der Patienten hat mindestens eine ambulante Psychotherapie absolviert.

Die Auswertung zum Umfang dieser Vorbehandlungen zeigt, daß bei 8,6% der Patienten der Behandlungsumfang bis zu 5 Stunden betrug, bei weiteren 111 Patienten (32,8%) dauerte die psychotherapeutische Vorbehandlung bereits bis zu 25 Stunden und bei 98 Patienten (29,0%) hatte die ambulante Psychotherapie bereits mehr als 25 Stunden in Anspruch genommen.

V.12. Untersuchungen im Akutkrankenhaus

Die Auswertungen zeigen, daß bei dem überwiegenden Teil der Patienten (81,1%) keine stationäre somatomedizinische Vorbehandlung stattgefunden hat, die in einem irgendwie gearteten Zusammenhang mit den jetzigen psychosomatischen Behandlungsleiden steht. 16,8% der Patienten (57 Patienten) waren wegen der aktuellen Behandlungssymptomatik in der Vorgeschichte in einer Akutklinik.

VI. Behandlungsdiagnosen in der psychosomatischen Klinik

Bei der Hälfte der Patienten (51,8) wurde eine Diagnose aus dem Bereich F4: „Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen“ gestellt. Die zweithäufigste Gruppe bilden die „Affektiven Störungen“ (F3) mit 24,6% der Erstdiagnosen. „Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren“ (F5) wurden bei 33 Patienten (9,8%) diagnostiziert und „Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“ (F6) bei 13 Patienten (3,8%). Krankheiten des Nervensystems (G) werden bei 8 Patienten (2,4%) als Erstbehandlungsdiagnose angegeben, wobei es sich bei den 5 Patienten der Gruppe G4 um Migräneerkrankungen und andere Kopfschmerzsymptomatiken handeln dürfte. Bei 11 Patienten (3,3%) stand aus dem Bereich „sonstige Krankheiten des Ohres“ (H9) eine Tinitussymptomatik im Vordergrund der Behandlung. Bei 9 Patienten (2,7%) waren „extremes Übergewicht und sonstige Überernährung“ (E6) primäre behandlungsrelevante Erkrankungen.

Die Häufigkeitsverteilung aller erfaßten 4 Diagnosen gibt eine Übersicht über das gesamte Spektrum der Behandlungsdiagnosen. Insgesamt wurden bei den 338 Projektpatienten 812 behandlungsrelvante Diagnosen vergeben. Das bedeutet, daß über alle Patienten berechnet bei jedem Projektpatient im Durchschnitt 2,4 Behandlungsdiagnosen vergeben wurden.

In der Reihenfolge der Diagnosehäufigkeiten dominieren „Psychische und Verhaltensstörungen“ (F-Diagnosen) mit 517 Diagnosen, gefolgt von „Krankheiten des Skeletts, der Muskeln und des Bindegewebes“ mit 76 Diagnosen bei 22,5% der Patienten und gleichhäufig mit 75 Diagnosen bei 22,2% der Patienten „Endokrine Störungen sowie Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten“. In der weiteren Folge der Krankheitshäufigkeiten folgen „Krankheiten des Nervensystems“ bei 13,0% der Patienten, „Krankheiten des Auges, des Ohres und des Warzenfortsatzes“ bei 9,2% der Patienten, „Krankheiten des Kreislaufsystems“ bei 8,0% und „Atemwegserkrankungen“ bei 3% der Patienten.

Die Zusammenstellung aller Behandlungsdiagnosen unterstreicht noch einmal unsere langjährige klinische Erfahrung in der Psychosomatik, daß ein großer Anteil der Patienten neben ihrer psychischen und psychosomatischen Erkrankung eine Vielzahl behandlungsrelvanter körperlicher Erkrankungen „mitbringen“, deren Bewertung und Behandlung eine ausgeprägte fachärztliche Kompetenz nahezu aus dem gesamten Krankheitsspektrum erforderlich macht und die bei den psychotherapeutischen Strategien angemessen berücksichtigt werden müssen. Die Verteilung der F-Diagnosen deckt darüber hinaus die gesamte Spannbreite der stationären Indikationsstellungen in der Psychosomatik ab.

VI.1. Komorbidität

Geht man einmal von einer Gleichverteilung der Diagnosen aus, werden für 338 Patienten 295 Diagnosen gestellt, die den somatischen Haupterkrankungsgruppen zuzuordnen sind, das entspricht 0,9 Diagnosen pro Patient. Das heißt, nahezu jeder Patient hat eine behandlungsrelevante körperliche Erkrankung. Bei 517 vergebenen F-Diagnosen ergeben sich 1,5 Diagnosen je Patient. Führt man diese beiden Diagnosekategorien zusammen, wurden für jeden der 338 Projektpatienten 2,4 Diagnosen vergeben.

Wenn die erste Behandlungsdiagnose ein psychiatrisches Krankheitsbild ist, wurde bei 77,0% der Patienten eine zweite Erkrankung diagnostiziert, bei 67,0% eine dritte Erkrankung und bei 55,7% sogar noch eine vierte Erkrankung festgestellt.

Bei einer somatischen Erkrankung als Erstdiagnose ist der Anteil der Patienten mit einer zweiten Diagnose mit 89,7% deutlich höher als im vorangehenden Fall und auch bei der Drittdiagnose wird mit 72,4% und bei der Viertdiagnose mit 62,0% ein jeweils höherer Anteil an komorbiden Krankheitsbildern diagnostiziert. Diese Zahlenverhältnisse resultieren vor allem daraus, daß die zweite Diagnose bei vorrangig somatischen Krankheitsbildern im Großteil der Fälle (55,2%) eine psychiatrische Erkrankung ist.

Faßt man einmal die zugeordneten F-Diagnosen zusammen, wird bei 82,7% der Patienten mit einem primär somatischen Behandlungsleiden auch eine psychiatrische Erkrankung angegeben.

Insgesamt zeigen die Analysen der Behandlungsdiagnosen, daß die stationär behandelten Patienten hochkomorbide Krankheitsbilder aufweisen, so daß bei nur 23,0% der Patienten mit einer psychischen bzw. psychosomatischen Erkrankung als Erstdiagnose keine weitere Erkrankung festgestellt wurde und bei den Patienten mit einer vorrangig somatischen Erkrankung konnte bei lediglich 10,3% der Patienten kein behandlungsrelevantes weiteres Krankheitsbild diagnostiziert werden.

VII. Stichprobenentwicklung zwischen Aufnahme, Entlassung und Katamnese

Zum Zeitpunkt der Aufnahe in die Kliniken wurden insgesamt 338 Patienten untersucht. Die Anzahl der zum Entlassungszeitpunkt untersuchten Patienten beträgt maximal 311 und zur Katamnese konnten 230 Patienten persönlich und direkt befragt und untersucht werden.

Danach konnten 92,0% der Patienten, von denen Aufnahmedaten vorlagen, auch zum Entlassungszeitpunkt mit dem kompletten Befragungssystem untersucht werden. Es wurde im Rahmen dieser Entlassungsuntersuchung vereinbart, in welcher Form nach zwei Jahren Kontakt aufgenommen werden sollte. Dieses Vorgehen wurde gewählt, um die Zuverlässigkeit  der Befragungsergebnisse zu erhöhen und eine möglichst grosse Anzahl von Projektpatienten zu erreichen. Die zunehmende Mobilität der erwerbstätigen Patienten und eine insgesamt zu beobachtende nachlassende Bereitschaft zur Teilnahme an umfangreicheren Befragungen macht es bei systematischen angewandten Studien erforderlich, solche Kontaktbrücken zu entwickeln. Zur Vereinfachung des Reiseaufwandes wurde den Patienten angeboten, nicht in ihre Behandlungsklinik fahren zu müssen, sondern in die Projektklinik mit der grössten Nähe zum Wohnort der Patienten. In nicht wenigen Fällen wurde ein solches Arrangement auch angenommen, wenngleich auch einige Patienten lieber von Mitarbeitern ihrer früheren Behandlungsklinik untersucht werden wollten.

Bei auschliesslich postalischen Befragungen von Patienten nach derart langen Katamnesezeiträumen ergeben sich Rücksendequoten von bis zu maximal 40% bis 50%. Die retrospektiven Analysen der „Drop-Outs“ hinsichtlich systematischer Selektionsprozesse hinterlassen in der Regel den unguten Eindruck, letztlich nie ganz genau zu wissen, warum bestimmte Patienten an den Untersuchungen teilgenommen haben und andere nicht. Auf die Auslobung einer Katamneseprämie wurde explizit verzichtet, weil bei solchen Konstruktionen nicht absehbar ist, wie sich Prämienzahlungen auf das Antwortverhalten auswirken.

Insgesamt konnte durch die beschriebenen Katamnesestrategien erreicht werden, dass 223 Patienten persönlich nachuntersucht werden konnten. Wir halten es für ein hervorragendes Ergebnis, dass wir damit 71,7% der Patienten erreichen konnten, von denen komplette Entlassungsdaten vorlagen. In nicht wenigen Fällen wurden intensive Nachforschungen erforderlich, um die aktuellen Wohnsitze der Patienten ausfindig zu machen.

VIII. Ergebnisqualität der unmittelbaren Behandlungseffekte und der Langzeitveränderungen

Ergebnisqualität ist nicht alles – aber ohne Ergebnisqualität ist alles nichts!

VIII.1. Veränderungen der Lebensqualität und Lebenszufriedenheit

Veränderungen der Lebensqualität, der Lebenszufriedenheit und die Entwicklung einer optimistischen Lebensperspektive sind wichtige Voraussetzungen und zugleich unabdingbare Begleiterscheinungen einer gesundheitlichen Stabilisierung.

Mehr noch: Es sind tragende Elemente von Gesundheit!

Die Lebensqualität der verhaltensmedizinisch behandelten Patienten hatte sich im Vorfeld der stationären Indikationsentscheidungen wesentlich verschlechtert – und dies in nahezu allen Lebensbereichen. Im Verlauf der stationären Behandlung ergeben sich durchgehend signifikante Verbesserungen der Lebensqualität. Das so erreichte Niveau an Lebensqualität konnte in den beiden Folgejahren nach der Behandlung gehalten und stabilisiert werden.

Lediglich die Zufriedenheit mit der finanziellen Lage, die allerdings am Beginn der Behandlung als unproblematisch bewertet wurde, hat sich über die Messzeitpunkte hinweg nicht verändert. Alle anderen Befragungsbereiche der subjektiven Zufriedenheitseinschätzungen weisen auf eine weitgehende Stabilität der im stationären Behandlungsverlauf erreichten Werte hin.

Der Veränderungsfragebogen des Erlebens und Verhaltens (VEV-R-2001) mit dem Generalfaktor „Entspannung, Gelassenheit und Optimismus“ und den Subskalen „Veränderung im Sozialverhalten“, „Veränderung von Belastbarkeit und Ausdauer“, „Klärung und optimistische Zukunftsorientierung“ und „Klärung von Handlungsprioritäten“ ergibt positive Veränderungsquoten von 74,3% zur Entlassung und noch einmal 60,8% positive Veränderungsquoten im Nachuntersuchungszeitraum.

Die mit Hilfe des VEV-R-2001 erfassten Veränderungen stehen in einem ausgeprägten Zusammenhang mit der Besserung der Lebensqualität. Dies gilt ebenso für die Veränderungsbeurteilungen der stationären Behandler und sogar für deren langfristige Krankheitsprognosen.

VIII.2. Veränderungen zum allgemeinen Krankheitsgeschehen

Die subjektiven Angaben der Patienten zum Krankheitsgeschehen und zu den krankheitsbedingten Einschränkungen und Behinderungen sind wichtige Kriterien zur Bewertung des Gesundheits- und Krankheitsverhaltens.  Die Einschätzungen basieren nicht auf versicherungsrechtlichen Grundlagen (z.B. dem bei Versicherungsträgern registrierten Krankheitsgeschehen). So können Patienten z. B. an einer Erkältung gelitten haben, ohne dass eine entsprechende Krankschreibung und/oder ohne dass ambulante Arztkonsultationen und/oder ohne dass medikamentöse Behandlungen erfolgten.

Insgesamt ergibt sich dabei eine signifikante Abnahme der Beschwerdenintensität. Der Anteil der Patienten, die unter starken Beschwerden leiden, geht von 67,8% auf 35,0% zurück und Angaben über leichte Beschwerden (ja, kaum) bzw. die Angaben «keine Beschwerden» erfolgen entsprechend häufiger und nehmen von 11,5% auf 31,9% zu.

Statistische Vergleiche der Beurteilung des Gesundheitszustandes erfolgten zu den Zeitabschnitten 2 Wochen vor der Befragung und 1 Jahr vor der Befragung. In beiden Zeitverläufen ergaben sich sehr signifikante Verbesserungen des Gesundheitszustands in der Katamnesestichprobe. Aus subjektiver Sicht fühlen sich die Patienten nach der medizinischen Rehabilitation gesünder als dies in den korrespondierenden Zeitabschnitten im anamestischen Krankheitsverlauf der Fall war.

Akutmedizinisch notwendige Massnahmen und Interventionen wie Bettlägerigkeit oder operative Eingriffe sind zu beiden Befragungszeitpunkten (jeweils zwei Wochen vor der Befragung) eher seltene Ereignisse und im Vergleich zwischen der Aufnahme und der Katamnese weitgehend konstant. Dieses Ergebnisse entschärfen die immer wieder angeführte Befürchtung, Patienten könnten im Zusammenhang mit einem veränderten Krankheitsverhalten leichtfertig auf notwendige medizinische Untersuchungen und Interventionen verzichten und dabei ihre Gesundheit gefährden.

In bezug auf das Ausmass an Einschränkungen und Behinderungen durch die Erkrankung zeigt sich, dass die psychisch erkrankten Patienten deutlich stärkere Einschränkungen angeben als in der Allgemeinbevölkerung erwartet (was nicht verwunderlich ist) und dass die Patienten aus dem aktuellen Behandlungsjahrgang deutlich stärker beeinträchtigt sind als dies vor 10 Jahren der Fall war. Die ausgeprägtesten Unterschiede ergeben sich bei Behinderungen in der Ausübung einzelner beruflicher Tätigkeiten bzw. bei der Hausarbeit und bei den Behinderungen, überhaupt einem Beruf nachgehen zu können oder Hausarbeit ausüben zu können.

Bei insgesamt 9 (von 11) erfragten Funktionseinschränkungen konnte eine signifikante Verbesserung zwischen Aufnahme und Entlassung festgestellt werden. In 8 dieser Bereiche besteht dieser Rückgang auch 2 Jahre nach der Entlassung aus der Klinik weiter fort. Der Vergleich der Angaben der Patienten zum Zeitpunkt der Entlassung und der Katamnese weist darauf hin, daß der katamnestische Verlauf der Funktionseinschränkungen stabil ist. Behinderungen bei “einzelnen Tätigkeiten in Beruf und Haushalt“ vermindern sich in den beiden Jahren nach der Entlassung aus der Klinik noch einmal sehr deutlich. Insbesondere der im Verlauf der stationären Behandlung wesentlich erweiterte Handlungs  und Bewegungsspielraum der Patienten (beim Verlassen des Hauses auf Hilfe angewiesen sein, sich wegen des Gesundheitszustandes in der Wohnung aufhalten müssen, berufliche Tätigkeit und Hausarbeit ausüben, sich wegen des Gesundheitszustandes als eingeschränkt erleben, das zu tun, was man gern tun würde) bleibt auch 2 Jahre nach der stationären Behandlung weiterhin erhalten.

Bei den von den Patienten angegebenen Erkrankungen zeigt sich insgesamt ein Rückgang der Erkrankungshäufigkeit zwischen dem Jahr vor der Aufnahme und dem Jahr vor der Katamnese.  Deutlich seltener werden genannt: Grippe und Erkältung sowie Bronchitis,  Magenschleimhautentzündungen und Kreuz,- Rücken- und Nackenschmerzen. Ein signifikanter Rückgang ist bei der Symptomatik des niedrigen Blutdrucks zu verzeichnen. Bei einer Reihe von Krankheiten, die in der Projektgruppe in der Katamnese seltener genannt wurden, scheint es so zu sein, daß sie ein normales Niveau der Krankheitsprävalenz erreicht haben; andere sind nach wie vor in der Projektgruppe häufiger vertreten.

  • Erkältungskrankheiten sind deutlich rückläufig und haben nahezu ein normales Niveau erreicht.
  • Niedriger Blutdruck nimmt signifikant ab und nähert sich der Häufigkeit in der Vergleichsgruppe.
  • Magenschleimhautentzündungen tendieren zur Normalität, liegen jedoch katamnestisch immer noch höher als in der Vergleichsgruppe.
  • Kreuz , Rücken  und Nackenschmerzen kommen nach wie vor häufig vor und liegen mit 74,9% auch katamnestisch wesentlich über der Krankheitsprävalenz von 44,4% in der Vergleichsgruppe.

Insgesamt bestätigen die Ergebnisse unsere Annahme, daß die Krankheitsprävalenz sich in der Katamnese auf eine «normale» Krankheitshäufigkeit einpendelt und die Werte in der Vergleichsgruppe erreicht bzw. sich diesen weitgehend annähert. Allergien, erhöhter Blutdruck, Magenschleimhautentzündungen und vor allem Schmerzen im Stütz  und Bewegungsapparat werden von den Patienten der Projektgruppe auch zum Katamnesezeitpunkt immer noch häufiger genannt, als dies von der Verteilung in der herangezogenen Bevölkerungsstichprobe zu erwarten wäre. Bei generell rückläufiger Krankheitsprävalenz nach der stationären psychosomatischen Behandlung sind die vorgenannten Erkrankungen nach wie vor in der Projektgruppe überrepräsentiert.

Die Anzahl der Erkrankungen bei psychischen Erkrankungen ging von 34 Krankheitsfällen auf 18 Krankheitsfälle zurück. Im Einzelnen wurden dabei Depressionen, Ängste, Zwänge, Migräne, Kopfschmerzen und Erbrechen genannt. Die aufgeführten Krankheitsfälle wegen Magen-Darm-Erkrankungen gingen von 18 auf 7 Krankheitsfälle zurück.  Hormonelle Störungen und Stoffwechselerkrankungen wurden in der Anamnese 9 mal genannt, in der Nachuntersuchung erfolgten lediglich noch 2 Nennungen. Auch die Angaben über Entzündungen und Infektionen (von 20 auf 14 Krankheitsfälle) sind rückläufig.

Die Veränderungen in der subjektiven Gefährdung der Arbeitsfähigkeit zwischen der Aufnahme und Entlassung sowie zwischen der Aufnahme und der Katamnese sind sehr signifikant. Das bedeutet, dass infolge der stationären Behandlung die Arbeitsfähigkeitsgefährdung erheblich abgenommen hat und auf dem erreichten Niveau im zweijährigen Nachuntersuchungszeitraum stabil geblieben ist. Damit liegen aus der Sicht der Patienten eindeutige Hinweise dafür vor, daß die im Verlauf der stationären Behandlung erreichte arbeitsbezogene Belastbarkeit ein stabiles Niveau erreicht hat, das auch nach erneuten beruflichen Anforderungen über 2 Jahre hinweg gehalten werden konnte.

Allerdings muss man konstatieren, dass das erreichte Gefährdungsniveau in der aktuellen Studie zum Zeitpunkt der Entlassung und der Katamnese lediglich das Ausgangsniveau früherer Untersuchungen erreicht. Dies ist ganz sicher als Hinweis auf wesentlich erhöhte Gefährdungsgrade der arbeitsbezogenen Belastbarkeit in der Patientenstichprobe des aktuellen Untersuchungsjahrgangs zu werten.

VIII.3. Veränderungen psychosomatischer Beschwerden

Die Psychosomatische Symptomcheckliste PSCL eignet sich in ganz besonderer Weise als Verlaufsinstrument im Rahmen der Evaluationsforschung. Die Kombination aus der Auftretenshäufigkeit einzelner Beschwerden mit der Intensität der Beschwerden erlaubt spezifische Veränderungsanalysen, bei denen unterschiedliche Konstellationen von Veränderungen identifiziert werden können. Entweder ändert sich die Auftretenshäufigkeit der Beschwerden oder die Intensität der Beschwerden, wenn diese auftreten. Das Produkt aus beiden Ergänzungsbefragungen scheint ein für verhaltensmedizinisch-psychosomatische Interventionen sensibles Instrumentarium zu sein.

Unter Berücksichtigung von verschiedenen Beschwerdenlisten und Symptombereichen als Verlaufsindikatoren von Krankheitsverläufen zeigt sich, daß sich die Häufigkeit des Auftretens, die Intensität der Beschwerden und die dadurch bedingten Beeinträchtigungen im Verlauf der stationären Behandlung wesentlich verbessern und diese Verbesserungen auch noch 2 Jahre nach der Behandlung in gleicher Weise und im gleichen Ausmaß zu beobachten sind.

Auf der Ebene einzelner spezifischer Symptome ergeben sich dabei recht unterschiedliche Verläufe. Die Gruppierung der Symptomliste in schmerzbezogene Beschwerden und in affektive Beschwerden hat sich unter Verlaufsgesichtspunkten als sinnvoll erwiesen. Die schmerzbezogenen Effekte der medizinischen Rehabilitation sind zwar auch statistisch bedeutsam, jedoch geringer als die Effekte bei den affektiven Beschwerden. Dies betrifft vor allem Rückenschmerzen, bei denen ein „Rebound-Effekt“ mit einer Zunahme im Katamnesezeitraum zu beobachten ist. Allerdings fällt diese nachstationäre Verschlechterung geringer aus als die Verbesserung während der stationären Behandlung, sodass die Vergleiche zwischen der Aufnahmeuntersuchung und der Katamnese immer noch eine statistisch bedeutsame Reduktion der Rückenschmerzen im Langzeitverlauf aufzeigen.

Die weiblichen Patienten profitieren bei den symptomspezifischen Veränderungen in weitaus stärkerem Masse von der Behandlung als die Männer. Bei diesen ergeben sich jedoch in nicht unbeträchtlichem Grade stärkere Veränderungen im nachstationären Untersuchungsverlauf.

Die Frauen der Untersuchungsstichprobe erleben sich durch psychosomatische Beschwerden als stärker beeinträchtigt und erleben gleichzeitig aber auch eine stärkere Reduktion der Symptomatik.

VIII.4. Veränderungen depressiver Verhaltens- und Erlebensmuster

Die Veränderungen in den einzelnen Depressionsschweregraden im Verlauf der stationären Behandlung und im Zeitraum von zwei Jahren nach Abschluss der Therapie sind erheblich. Insgesamt hat es eine Linksverschiebung hin zu niedrigeren Depressionsscores gegeben. Diese ausgeprägten Veränderungen depressiver Verhaltens- und Erlebensweisen sind ein deutlicher Hinweis auf die besondere Wirksamkeit verhaltenstherapeutisch orientierter antidepressiver Strategien. Dies gilt ganz besonders für den stationären Bereich, wenn antidepressive Bhandlungsstrategien in die verschieden Therapiebausteine integriert werden, sei es in der Einzeltherapie, in der Problemlösungsgruppe, in themenzentrierten Gruppen in entsprechenden Therapieangeboten aus den Funktionsbereichen. Insbesondere das therapeutische Milieu einer verhaltenstherapeutischen Klinik stellt eine konsistente Aufforderung dar, offensive Bewältigungsstrategien und Aktivitäten zu entwickeln. Nur mit grösster Mühe können sich die Patienten diesem Anregungs- und Handlungsmilieu entziehen.

Die stationäre verhaltensmedizinische Therapie und Rehabilitation führt zu einer deutlichen und nachhaltigen Abnahme der Depressivität, auch bei Patienten, bei denen eine erhöhte Morbidität im prästationären Krankheitsverlauf zu verzeichnen ist. Bei den weiblichen Patienten sind deutlich stärkere Veränderungen zu verzeichnen und die mittleren Depressionswerte zur Entlassung aus der Klinik und zur Katamnese haben sich bei Männern und Frauen weitgehend angeglichen.

Die vielfältigen antidepressiven Behandlungsansätze und Behandlungsbausteine im Rahmen der stationären Verhaltenstherapie haben offensichtlich eine weitreichende Langzeitwirkung. Die poststationäre Konfrontation mit persönlichen und beruflichen Problemkonstellationen führt insgesamt nicht dazu, daß depressive Verhaltensweisen und Reaktionen wieder verstärkt in den Vordergrund treten.

VIII.5. Veränderungen der Angstsymptomatiken

Die Veränderungen in den einzelnen Angstschweregraden im Verlauf der stationären Behandlung und im Zeitraum von zwei Jahren nach Abschluss der Therapie sind erheblich. Insgesamt hat es eine Linksverschiebung hin zu niedrigeren Angstscores gegeben. Diese ausgeprägten Veränderungen angstbezogener Verhaltens- und Erlebensweisen sind ein deutlicher Hinweis auf die besondere Wirksamkeit verhaltenstherapeutisch orientierter Strategien der Angstbewältigung. Dies gilt ganz besonders für den stationären Bereich, wenn angstmindernde Bhandlungsstrategien in die verschieden Therapiebausteine integriert werden, sei es in der Einzeltherapie, in der Problemlösungsgruppe, in themenzentrierten Gruppen oder in entsprechenden Therapieangeboten aus den Funktionsbereichen. Die stationäre verhaltensmedizinische Therapie und Rehabilitation führt zu einer deutlichen und nachhaltigen Abnahme der Angstsymptomatiken, auch bei Patienten, bei denen eine erhöhte Morbidität im prästationären Krankheitsverlauf zu verzeichnen ist.

Die vielfältigen Behandlungsansätze und Behandlungsbausteine, in denen der Umgang mit Angstreaktionen geübt wird, das Verändern des Vermeidungsverhaltens und wiederkehrende Expositionen im Rahmen der stationären Verhaltenstherapie haben offensichtlich eine weitreichende Langzeitwirkung. Die poststationäre Konfrontation mit persönlichen und beruflichen Problemkonstellationen führt insgesamt nicht dazu, daß angstbesetzte Verhaltensweisen und Reaktionen wieder verstärkt in den Vordergrund treten.

VIII.6. Veränderungen schlafbezogener Probleme

Die Häufigkeit klinisch relevanter Schlafstörungen bei Patienten in der stationären psychosomatischen Rehabilitation auf der Basis von standardisierten Befragungsinstrumenten durch Selbstauskünfte der Patienten stehen in einer deutlichen Diskrepanz zu den stationären Behandlungsdiagnosen wegen nichtorganischer Schlafstörungen. Nach dem Differenzierungskriterium im Schlaffragebogen SFB (Görtelmeyer 1996) zur Schlafqualität litten 53,3% der Patienten zum Aufnahme unter Schlafstörungen; bei lediglich 6 Patienten (von 330) wurde als stationäre Behandlungsdiagnose eine nichtorganische Schlafstörung festgestellt.

Gleichwohl muss in Betracht gezogen werden, dass bei einer Reihe von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen Schlafstörungen eine relevante Begleitsymptomatik darstellen und somit nicht als separate Diagnose klassifiziert werden.

Die Differenzierung der Patientenstichprobe in Schlafgestörte und Nicht-Schlafgestörte nach dem Grad der Schlafqualität erwies sich als zutreffend. In allen untersuchten schlafbezogenen Verhaltensmustern resultieren deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen.

Die in bezug auf das Schlafverhalten eher unspezifischen Behandlungselemente in der medizinischen Rehabilitation (Entspannungstraining, körperliche Aktivierung, Problemlösetraining, Reduktion bzw. Absetzen von Medikamenten und Alkohol) und eine durch das gesamte Klinikprogramm erreichte Strukturierung im Schlaf-Wach-Rhythmus führen in Verbindung mit einer Verminderung der primären Behandlungsleiden sowohl in der Gesamtstichprobe der Patienten und in ganz besonderem Masse bei den Schlafgestörten zu deutlichen und erheblichen Verbesserungen schlafbezogener Parameter. Diese Veränderungen bleiben auch im Nachuntersuchungszeitraum weitgehend stabil.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Veränderungen der depressiven Verhaltens- und Erlebensmuster derjenigen Patienten, deren Schlafqualität sich langfristig nicht verbessert oder sogar verschlechtert hat, geringer sind als bei Patienten mit langfristig (katamnestisch) verbesserter Schlafqualität.

Die Effektstärken hinsichtlich der Verbesserung der Schlafqualität fallen deutlich niedrieger aus als die Effektstärken der Veränderung der Depressivität. Eine spezifische Analyse der Effektstärken Schlafgestörter ergab wesentlich höhere Werte, insbesondere unter Beachtung der langfristigen Veränderungen zwischen der Aufnahme und der Katamnese.

VIII.7. Veränderungen der Krankheitsbewältigung

Sowohl Positiv- als auch Negativstrategien veränderten sich während der Behandlung stark in die jeweils gewünschte Richtung und auch zwei Jahre nach Beendigung der stationären Therapie lassen sich diese Effekte noch nachweisen. Im Vergleich von Entlassungs- und Katamneseerhebung zeigten sich statistisch bedeutsame Unterschiede nur bei den Positivstrategien. Diese haben zwar katamnestisch wieder abgenommen, bleiben aber noch deutlich über dem Ausgangsniveau.

Somit kann man folgern, dass für eine langfristige Verbesserung des Bewältigungsverhaltens die Veränderungen entscheidend sind, die während der stationären verhaltenstherapeutischen Behandlung erzielt werden. Dies entspricht auch einem empirischen Befund von Zielke (1993) zu den Langzeiteffekten stationärer Verhaltenstherapie.

Weiterhin zeigte sich, dass die Reduktion der Negativstrategien jeweils ausgeprägter ist als der Zuwachs an Positivstrategien. Diese Ergebnisse korrespondieren mit der Tatsache, dass schon im Verlauf der Behandlung die Abnahme der Negativstrategien stärker war als die Zunahme der Positivstrategien. Die Tatsache, dass die Projektpatienten trotz der erreichten Verbesserungen deutlich geringere  Bewältigungsfertigkeiten aufweisen als gesunde Personen, lässt vermuten, dass Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen generell eingeschränkte Fähigkeiten im Umgang mit Belastungen haben.

Eine Aussage über die Stabilität der Therapieeffekte wird über den Vergleich der Streuung zwischen Entlassungs- und Katamneseuntersuchung ermöglicht. Aus der Tatsache, dass weder die Stressbewältigungsmechanismen (Sekundärskalen des SVF 120) noch die Skalen für Depression, Angst, Lebenszufriedenheit und psychosomatische Beschwerden zum Katamnesezeitpunkt signifikant anders ausgeprägt sind als direkt im Anschluss an die Therapie, lässt sich schließen, dass die Behandlungseffekte in diesen Bereichen über zwei Jahre hinweg anhalten. Die im Verlauf der stationären Therapie erzielten Veränderungen sind entscheidend für die Langzeiteffekte.

Ein weiterer Abschnitt befasste sich damit, inwiefern ein Zusammenhang herzustellen ist zwischen langfristigen Veränderungen der Krankheitsbewältigung und langfristigen Veränderungen des psychischen Befindens. Es konnte gezeigt werden, dass dieser Zusammenhang in der erwünschten Richtung besteht. Eine Zunahme an Positivstrategien einerseits und eine Abnahme der Negativstrategien andererseits geht einher mit einer Reduktion der klinischen Symptomatik in den Bereichen Depression, Angst, psychosomatische Symptome und einer Zunahme der Lebenszufriedenheit. Obwohl in beiden Fällen fast durchweg hochsignifikant, sind die korrelativen Zusammenhänge zu den Negativstrategien numerisch höher als zu den Positivstrategien. Um zu untersuchen, welche Rolle die einzelnen Strategien für die Veränderungen der klinischen Effektkriterien spielen, wurden diese separat betrachtet.

Die Bedeutsamkeit der einzelnen Positivstrategien für das psychische Befinden variiert. Eine Zunahme von Positiver Selbstinstruktion, Schuldabwehr und Bagatellisierung steht am stärksten in Verbindung mit einer Abnahme von Depressivität, Angst, psychosomatischen Beschwerden und einer Zunahme der Lebenszufriedenheit. Auch verbesserte Möglichkeiten zur Entspannung korrelieren signifikant mit einer Abnahme der Depression und Angst, vor allem aber mit einer Zunahme an Lebenszufriedenheit. Eine Zunahme an Situationskontrolle hat vorrangig positive Effekte auf Depressivität und Lebensqualität. Die weiteren stressreduzierenden Skalen spielen eine eher untergeordnete Rolle für die Verbesserung des psychischen Befindens.

Aus dem Bereich der negativen Verarbeitungsstrategien stehen dagegen die meisten Subskalen in hochsignifikantem Zusammenhang zu den klinischen Effektkriterien. Nur für die psychosomatischen Symptome ergeben sich zwei auf dem 5%-Niveau signifikante und eine nicht signifikante Korrelationen. Dies kommt vermutlich dadurch zustande, dass die psychosomatischen Symptome inhaltlich den niedrigsten Zusammenhang zu den Stressverarbeitungsstrategien haben.

Auch Zielke (1993) berichtet von der Bedeutsamkeit der Reduktion negativer Verarbeitungsstrategien bezüglich einer Veränderung in den klinischen Kriterien.

Abschließend ist also festzustellen, dass es für den Genesungsprozess wichtiger ist, dass die Patienten die Negativstrategien abbauen.

VIII.8. Die Bedeutung von Arbeitsstressoren für Veränderungsprozesse

Im vorliegenden Abschnitt wird geprüft, inwieweit sich organisationspsychologische Befunde zum psychischen Stress am Arbeitsplatz auf Patienten mit psychischen Störungen übertragen lassen. Die Studie betrachtet eine Stichprobe von 122 erwerbstätigen Patienten in der psychosomatischen Rehabilitation. Es werden Einflüsse stressrelevanter Bedingungen der Arbeitssituation auf Depressivität, Angst und funktionelle körperliche Beschwerden sowie auf die Arbeitsunfähigkeitszeiten untersucht. Weiterhin wird kontrolliert, welche individuellen Stressverarbeitungsweisen diese Einflüsse moderieren. In der Katamnese wird exploriert, welche Aspekte der Arbeitssituation und welche Stressverarbeitungsweisen die Symptome bei Entlassung aus der stationären Therapie und zwei Jahre danach beeinflussen.

Es lassen sich spezifische Einflüsse von Arbeitsstressoren und maladaptiven Stressverarbeitungsweisen auf die Symptome und die Arbeitsunfähigkeitszeiten darstellen.

Durch die Kenntnis person- und symptomspezifischer Risikofaktoren der Arbeitssituation ergeben sich Strategien zur nachhaltigen Sicherung der Erwerbsfähigkeit. Vor diesem Hintergrund werden die Ergebnisse in ihren Implikationen für die Therapieplanung diskutiert.

VIII.9. Prästationäres Krankheitsverhalten und Behandlungsergebnisse

Die Ergebnisse zum Krankheitsgeschehen zeigen, daß der Anteil der arbeitsunfähig aufgenommenen Patienten gegenüber früheren Zeiträumen deutlich gestiegen ist. Im Falle einer Krankschreibung sind die Patienten auch wesentlich länger krank. Dies spricht dafür, daß der Schweregrad psychosomatischer Erkrankungen in der stationären Verhaltenstherapie gestiegen ist.

Das Arbeitsunfähigkeitsgeschehen vor Aufnahme beeinflußt den Therapieerfolg bis zum Ende der Behandlung in dem Sinne, daß arbeitsunfähig aufgenommene Patienten einen deutlich geringeren Therapieerfolg haben als arbeitsfähig aufgenommene Patienten. Insbesondere die Gesamtzahl der AU-Tage im 2-Jahres-Zeitraum vor Aufnahme steht in umgekehrter Beziehung zum Therapieerfolg. Die Häufigkeit von Krankenhausbehandlungen, ambulanten Arztbesuchen und der Medikamentenkonsum haben dagegen keinen generellen Einfluß auf den Therapieerfolg.

Die Langzeiteffekte einer stationären, verhaltenstherapeutischen Behandlung konnten demonstriert werden, was im Sinne der Evidenz-Basierung den Nutzen einer psychosomatischen Rehabilitationsmaßnahme deutlich macht.

Die Arbeitsunfähigkeit stellt zwar einen negativen Prädiktor für den Therapieerfolg dar, jedoch nur bei einer Kurzzeit-Betrachtung bis zum Ende der Behandlung. Die arbeitsunfähigen Patienten scheinen jedoch nach der Entlassung weiter zu profitieren und haben nach einem Zeitraum von zwei Jahren vergleichbare Therapieerfolge wie die arbeitsfähigen Patienten. Die Ergebnisse werden dahingehend interpretiert, daß arbeitsunfähige Patienten stärker psychisch gestört sind und daher eine längere (Behandlungs-)Zeit benötigen, um das gleiche Therapieergebnis zu erzielen wie arbeitsfähige Patienten.

Unsere Befunde haben unter anderem Relevanz für die Ergebnisqualität stationärer psychotherapeutischer Behandlungsmaßnahmen. So ist bei der Einschätzung der Ergebnisqualität einer stationären Behandlungsmaßnahme zu berücksichtigen, wie hoch der Anteil der arbeitsunfähig aufgenommenen Patienten ist bzw. wie hoch die Gesamtdauer der AU-Zeiten vor Aufnahme ist. Insbesondere bei vergleichenden Ergebnissen verschiedener Kliniken ist dieser Aspekt unterschiedlicher Schweregrade zu berücksichtigen.

IX. Veränderungen im Ressourcenverbrauch

IX.1. Arbeitsunfähigkeitgeschehen

Neben den Kosten von Krankheiten ist bei der Untersuchung von Krankheitsverläufen von besonderer Bedeutung, ob sich das Krankheitsverhalten der Patienten verändert und ob dieses veränderte Krankheitsverhalten so weitreichende Wirkungen zeigt, dass auch das formal erfassbare Krankheitsgeschehen davon beeinflusst wird. Wie bereits vorangehend betont, ist es unbedingt erforderlich, die verschiedenen Parameter im AU-Geschehen differenziert zu betrachten, die teilweise unabhängig voneinander zu sehen sind. So kann sich beispielsweise die Prävalenz (Fallhäufigkeit) verändern, die Dauer je Erkrankungsfall kann gleichbleiben, zu- oder abnehmen und in Abhängigkeit von diesen Aspekten kann sich die Gesamtzahl der verursachten Krankheitstage verändern.

Unter Berücksichtigung dieser Teilkriterien kann man zusammenfassend feststellen, dass sich das Krankheitsverhalten im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfähigkeitsgeschehen im katamnestischen Verlauf wesentlich verändert.  Die Häufigkeit der Krankheitsfälle geht wesentlich zurück, im Krankheitsfall sind die Patienten kürzer krank geschrieben und die Zahl der entstandenen AU-Tage ist ausgeprägt rückläufig. Dabei ist es ein zunächst überraschendes Ergebnis, dass sich diese veränderten Krankheitsprozesse nicht nur auf die psychischen Erkrankungen beschränken. Auch bei organischen Erkrankungen sind die AU-Fälle rückläufig und die Krankheitsdauer im Katamnesezeitraum ist wesentlich verkürzt.

Unter Berücksichtigung der gesamten Gruppe der erwerbstätigen Projektteilnehmer ging die Häufigkeit der Arbeitsunfähigkeitsfälle um 19,60% zurück, die AU Dauer verkürzte sich um 53,10% und der Umfang an verursachten Krankheitstagen verringerte sich um 62,30%. Dabei ergaben sich erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Krankheitsgruppen und zwischen männlichen und weiblichen erwerbstätigen Projektteilnehmern.

Neben den erwartungsgemäßen Verbesserungen im Krankheitsgeschehen bei psychiatrischen AU Fällen ging auch das AU Geschehen bei körperlichen Erkrankungen wesentlich zurück.

Patienten haben in Bezug auf das Arbeitsunfähigkeitsgeschehen ihr Krankheitsverhalten wesentlich verändert. Sie werden seltener krank geschrieben und sind im Krankheitsfall kürzer krank als im Voruntersuchungszeitraum. Dies ist nach unserer Einschätzung wesentlich darauf zurückzuführen, daß sich das generelle Krankheitsgefühl mit der erfolgten psychischen Stabilisierung verbessert hat, daß sich die Patienten auch bei körperlichen Erkrankungen schneller wieder erholen und die Bereitschaft und die Fähigkeit zugenommen hat, den Krankheitsverlauf aktiv zu beeinflussen.

Auf Seiten der ambulant tätigen Ärzte, die ja letztlich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellen und die entsprechenden Arbeitsunfähigkeitsdiagnosen eintragen, gehen wir von der Annahme aus, daß die Behandlungs  und Entlassungsdiagnosen aus der psychosomatischen Klinik zu Präzisierungen und Differenzierungen der jeweiligen Krankheitsbilder geführt haben, die wiederum die diagnostische Unsicherheit des ambulanten Arztes verringern und dieser insgesamt weniger bzw. seltener krank schreibt und dabei seltener auf organische AU Diagnosen zurückgreift, bzw. nur noch dann, wenn diese tatsächlich zutreffend sind.

Die männlichen Patienten der Projektstichprobe verursachen trotz seltenerer AU-Fälle wegen der bei ihnen beobachteten wesentlichen längeren Dauer im Krankheitsfall in der Anamnese etwa 50 AU-Tage mehr als die weiblichen Projektteilnehmer. Die relativen Veränderungen bei den anderen Krankheitsparametern (AU-Tage je Patient, AU-Tage je AU-Fall) sind zwischen den Geschlechtern weitgehend identisch; die absoluten Veränderungen bei der Reduktion der AU-Fälle und der AU-Tage und auch bei der Verkürzung der Krankheitsdauer im AU-Fall sind bei den männlichen Patienten ausgeprägter als bei den Frauen.

Die unter Kostengesichtspunkten zusammengefassten Parameter des Krankheitsgeschehens verringern sich zwischen den beiden Untersuchungszeitpunkten in ganz ausgeprägtem Ausmasse. Die Tage, an denen seitens der Krankenkasse Krankengeld gezahlt wird, vermindern sich von 98,9 KG-Tagen auf 28,2 KG-Tage (-71,5%), die Tage von Lohnfortzahlungen bis zum 42. Tag der AU verringern sich von 47,2 LF Tagen je Patient auf 27,6 LF Tage (-41,5%) und die Tage mit Produktivitätsverlusten reduzieren sich von 47,2 PV-Tagen auf 27,6 PV-Tage (-41,5%) bei Verlusten bis zum 42. Tag der AU und von 98,9 PV-Tagen in der Anamnese auf 28,2 PV-Tage in der Katamnese (-71,5%) bei Produktivitätsverlusten ab dem 43. AU-Tag bis zum Ende der Arbeitsunfähigkeit.

IX.2. Akutbehandlungen im Krankenhaus

Im Verlauf des 2 jährigen Untersuchungszeitraums nach Entlassung aus der psychosomatischen Rehabilitation kommt es in der Projektstichprobe zu ausgeprägten und statistisch hochsignifikanten Veränderungen bei den Krankenhausbehandlungen. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen geht in der Gesamtgruppe um 30,4% zurück. Dieser Rückgang bezieht sich nicht nur auf die psychiatrischen Erkrankungen, sondern er resultiert aus dem gesamten Diagnosenspektrum.

Der Umfang der verursachten Krankenhaustage ist im Vergleich zwischen den beiden Beobachtungszeiträumen erheblich rückläufig; er verringert sich in der Gesamtstichprobe um 45,4%. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer je Fall verringert sich zwar um 21,6%. Der Rückgang an stationären Untersuchungen und Behandlungen im Krankenhaus im postrehabilitativen Beobachtungszeitrum von 2 Jahren entsteht also im wesentlichen durch eine Abnahme der Krankenhausfälle und durch eine Verkürzung der stationären Aufenthaltsdauer.

Neben der doch recht ausgeprägten Verringerung der Krankenhaustage infolge der stationären Psychotherapie bei psychischen Erkrankungen ist aus den Einzelergebnissen besonders hervorzuheben, dass sich die Häufigkeit von Einweisungen ins Krankenhaus und korrespondierend der Umfang der entstandenen Krankenhaustage auch bei anderen Krankheitsbildem verringert. Dies trifft vor allem zu bei Krankheiten des Kreislaufsystems, der Atmungsorgane, der Verdauungsorgane, der Harn  und Geschlechtsorgane sowie bei Krankheiten des Skeletts, der Muskeln und des Bindegewebes. Als besonderer Effekt der psychotherapeutischen Behandlung darf ebenfalls gewertet werden, daß Krankenhauseinweisungen wegen unspezifischer oder nicht genau bezeichneter Krankheitsbilder im Katamnesezeitraum so gut wie nicht mehr vorkommen. Dies ist nicht zuletzt auf die in der psychosomatischen Behandlung erfolgten diagnostischen Präzisierungen zurückzuführen.

Gerade bei Patienten mit psychischen Erkrankungen und organisch anmutenden Beschwerden und Beeinträchtigungen stellt eine Krankenhauseinweisung und der dortige lange Aufenthalt einen Versuch dar, das destabilisierte und erheblich bedrohte Selbstwertgefühl wiederherzustellen, indem der Beweis für die Berechtigung des Krankheitsgefühls durch das Auffinden organischer Krankheiten gesucht wird. Mit zunehmender Selbstwertstabilisierung werden solche Versuche nicht mehr erforderlich. Es ist anzunehmen, daß die Krankenhausbehandlungen sich im Katamnesezeitraum zunehmend nur noch auf das medizinisch tatsächlich Notwendige beschränken und folglich die beobachtete Über Inanspruchnahme im Anamnesezeitraum in der Nachuntersuchung nicht mehr festzustellen ist.

IX.3. Ambulante ärztliche Versorgung

Wie auch bei den anderen Aspekten des Krankheitsgeschehens sollte man sehr vorsichtig mit Bewertungen umgehen, ob ein bestimmtes empirisch beobachtetes Krankheitsverhalten bereits als ein „Zuviel“ oder „Zu wenig“ angesehen wird. Allzugross ist die Gefahr – und nicht wenige Forscher und Interessenvertreter erliegen ihr nur allzu häufig -, spezifische Untersuchungsergebnisse als Argumentationsbasis für die Vertretung und Verbreitung eigener Versorgungsinteressen zu missbrauchen. Dass dies überhaupt möglich ist, hat ganz sicher mit einem eklatanten Mangel an Versorgungsforschung im Bereich der Krankenversorgung zu tun.

So basiert z.B. die These, dass Patienten mit psychischen Erkrankungen die ambulante ärztliche Versorgung generell zu häufig in Anspruch nehmen, mehr auf Einzelfallbeobachtungen (aus denen dann selektive Generalisierungen entstehen) und auf einem Wunschdenken als auf empirisch gewonnenen Untersuchungsergebnissen. Das argumentativ überbeanspruchte Argument des „Doctor shopping“ gilt nur für ganz spezifische Phasen von Krankheitsverläufen.

Wie aus unseren Untersuchungsergebnissen hervorgeht, suchen Patienten mit psychischen Erkrankungen noch zwei Jahre vor einer stationären Behandlung die ärztliche Praxis genauso häufig auf, wie andere Versicherte auch. Auch wenn man sich darüber wundern mag, geht aus seriösen Untersuchungen (Köster 1992) hervor, dass jeder Versicherte, der im Jahr mindestens einmal einen Arzt aufsucht, pro Jahr 18 bis 20 Praxiskontakte aufzuweisen hat. Man muss also das Krankheitsverhalten von speziellen Patientengruppen immer nur in Relation zu anderen Krankheitsverläufen sehen und bewerten. Hinzu kommt, dass die Patienten unserer Untersuchung während der Projektlaufzeit 4 bis 5 Jahre älter geworden sind und die Praxiskontakte eigentlich hätten zunehmen müssen. Allerdings fehlen empirisch begründete Vergleichsdaten, um hierüber zuverlässige Aussagen machen zu können.

In Bezug auf die Praxiskontakte der Patienten in unserer Stichprobe zeigt sich erst im letzten Jahr vor einer stationären psychotherapeutischen Behandlung ein beschleunigtes Anwachsen der Häufigkeit von Kontakten in der ärztlichen Praxis auf nahezu das Doppelte des Vorjahresniveaus. Es gibt offensichtlich kritische Phasen mit einer progredienten Verschlimmerung der Symptomatik und einem Anwachsen des Krankheitsgefühls, in denen die Patienten versuchen, über zunehmende Arztkontakte eine Klärung und Besserung zu erreichen. Ganz sicher ist diese Zunahme auch durch zahlreiche konsiliarische Massnahmen bedingt, indem Untersuchungen in den jeweils anderen Fachdisziplinen veranlasst werden oder von den Patienten gefordert werden.

Als Folge der stationären Interventionen im Rahmen von medizinischen Interventionsmassnahmen sinkt die Häufigkeit der Praxiskontakte in den primär akutmedizinischen Fachbereichen um mehr als 25 Prozent in einem Zeitraum von zwei Jahren. Die Verringerung der Praxiskontakte führt jedoch nicht, wie Zielke bereits 1993 zeigen konnte, zu einem leichtfertigen Verzicht auf ärztliche Behandlungen bei schweren organischen Krankheitsbildern. Bei Patienten mit chronisch progredienten morbiden Krankheitsverläufen bleibt der Umfang der Praxiskontakte auf einem hohen Niveau stabil und nimmt noch leicht zu.

Die Reduktion bei den ambulanten Arztkontakten ist nach unserer Einschätzung u. a. auch darauf zurückzuführen, dass differenzialdiagnostische Klärungsprozesse bis zum Beginn der stationären Behandlung weitgehend abgeschlossen sind und der diagnostische und therapeutische Klärungsprozess während der stationären Behandlung in der psychosomatischen Klinik von den nachfolgenden ambulanten ärztlichen Kollegen entsprechend berücksichtigt wird.

IX.4. Medikamente

Will man tatsächlich aus der Perspektive der Versorgungsforschung empirisch gesichertes Wissen über das medikamentöse Konsumverhalten beschaffen, halten wir es für unverzichtbar, das Medikamentenverhalten auf der Grundlage einer sehr differenzierten Systematik zu untersuchen und hierbei die Befragungen bis auf einzelne Medikamentennamen und Packungsgrössen „herunterzubrechen“. Allgemeine Befragungen über die Häufigkeit wöchentlicher Einnahmen, die sich zudem noch auf längere zurückliegende Zeiträume erstrecken, kommen nach unseren Erfahrungen eher einer Meinungsumfrage gleich und es werden eher Meinungen zu Konsumgewohnheiten erfaßt.

Die Umsetzung der von uns gewählten Systematik ist sehr aufwenig und erfordert eine differenzierte Kenntnis der Untersucher über den Befragungsbereich. Gleichwohl sind wir nach internen Prüfungen zu der Einschätzung gelangt, dass die Ergebnisse zum Medikamentenverhalten als sehr zuverlässig einzustufen sind, zumal wir einen 4-wöchigen Befragungszeitraum gewählt haben, der in der Regel noch für retrospektive Erhebungen im Gedächtnis der Patienten verfügbar sein müsste.

Sowohl in der Systematik der ATC-Gruppen als auch bei den Verordnungen nach Indikationsgruppen zeigt sich ein differenziertes Bild der Veränderungen: Indikationsbereiche, die unmittelbarer mit der medikamentösen Behandlung von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen in Zusammenhang stehen (Zentrales Nervensystem,  Psychopharmaka, Analgetika, Hypnotika und Sedativa soie Migränemittel) werden unter Berücksichtigung der Verordnungsfälle wesentlich seltener genannt. Der Rückgang beträgt in diesen Gruppen etwa 40% weniger Verordnungen. Die Indikationsgruppen zur Behandlung von chronischen körperlichen Erkrankungen erscheinen bei den Verordnungen in der Nachuntersuchung nur geringfügig vermindert und beziehen sich offensichtlich auf Gesundheitsprobleme, für die diese Indikationsgruppen auch tatsächlich indiziert sind. Das Gesundheitsverhalten der Patienten im Umgang mit Medikamenten aus unterschiedlichen Indikationsgruppen hat sich offensichtlich insbesondere in den Bereichen verändert, in denen nach erfolgreicher stationärer verhaltensmedizinischer Behandlung und Psychotherapie eine gesundheitliche Stabilisierung eingetreten ist; die Weiterführung der medikamentösen Behandlung von chronischen organischen Erkrankungen wie z. B. Bluthochdruch, Diabetes mellitus, Schilddrüsenerkrankungen im Verlauf der zweijährigen Nachuntersuchung spricht für das differenzierte Verantwortungsbewusstsein der Patienten im Umgang mit Medikamenten.

Der Medikamentenkonsum der weiblichen Patienten ist zu allen Untersuchungszeitpunkten höher als bei den Männern. Nicht nur ist der Anteil der Konsumenten grösser sondern auch das Multikonsumverhalten ist wesentlich ausgeprägter. Während die Patientengruppe der Frauen in der Aufnahmeuntersuchung maximal 12 verschiedene Medikamente einnehmen, beträgt der höchste Mehrfachkonsum bei den Männern 8 Medikamente innerhalb von 4 Wochen. Die Reduktion des Multikonsums und der Anteil der Nicht-Konsumenten ist bei den Frauen geringer als bei den Männern. Allerdings zeigt sich im Prinzip die gleiche Entwicklung. Das Multikonsumverhalten ist in der Nachuntersuchung nach zwei Jahren wesentlich verringert und  „bereinigt“ worden. Diese Effekte zeigen sich vor allem in den höhergradigen Mehrfachmedikationen.

Medikamente zur Behandlung von akuten körperlichen Krankheiten (Resprationssystem) oder von chronischen körperlichen Erkrankungen (Cardiovaskuläres System, Stoffwechsel) oder von über längere Zeiträume bestehenden gesundheitlichen Problemen (Urogenitalsystem und Sexualhormone) werden in nahezu gleicher Weise eingenommen und verordnet. Medikamente zur Behandlung von Krankheitszuständen, die in einem engen Zusammenhang mit einer psychischen Symptomatik stehen, werden wegen mangelnder Behandlungsindikation bzw. Behandlungsnotwendigkeit seltener verordnet und konsumiert und insbesondere wird der Mehrfachkonsum innerhalb der ATC-Gruppe N (zentrales Nervensystem) verringert bzw. „bereinigt“. Dies zeigt, dass die Patienten tatsächlich einen veränderten Umgang mit Medikamenten gelernt haben und vielleicht besser zwischen „nötigen“ und „unnötigen“ Medikationen unterscheiden und sich dann auch in ihrem Konsum daran halten können.

X. Veränderungen der Krankheitskosten

X.1. Arbeitsunfähigkeitsgeschehen

Als Faktoren der unmittelbaren Krankheitsfolgekosten ergeben sich für die Krankenkasse die Aufwendungen für die Zahlung von Krankengeld und für den Arbeitgeber die Lohnfortzahlung bis zum 42. Tag der jeweiligen Erkrankung, die Produktivitätsausfälle bis zum 42. AU-Tag und die Produktivitätsausfälle ab dem 43. Tage bis zum Ende des einzelnen Krankheitsfalls.

Für die Krankenkasse resultieren als langfristige Folge der stationären verhaltensmedizinischen Behandlung und Rehabilitation Einsparungen von 3.891,80€ je Patient und in der gesamten Untersuchungsstichprobe der erwerbstätigen Patienten von 778.360€ für das Krankengeld. Dies ist eine Verminderung der entsprechenden Ausgaben um 71,50%.

Die Kostenfaktoren, die für den Arbeitgeber von Bedeutung sind (Lohnfortzahlungen und Produktivitätsverluste), vermindern sich ebenfalls in einem hohen Ausmasse. Die Lohnfortzahlungen von 5.434,33€ ja Patient im Voruntersuchungszeitraum vermindern sich um 41,55%, die Produktivitätsverluste bis zum 42. AU-Tag gehen um 2.906,72€ zurück und die Produktivitätsverluste ab dem 43. Tag des Krankheitsfalls vermindern sich sogar um 10.472,48€ je Patient der Untersuchungsstichprobe. Die Einsparungen bei den Arbeitgebern betragen unter Einbeziehung aller Aufwendungen und Verluste 15.637,23€ je Behandlungsfall und 3,127.297€ für die erwerbstätigen 200 Projektpatienten.

Die in diesen Berechnungen zugrunde gelegten Krankheitsfolgekosten bei der Krankenkasse und bei den Arbeitgebern konnten infolge der stationären Behandlung in einem äusserst beträchtlichem Ausmass verringert werden. Nicht nur die Krankenkasse sondern auch die Arbeitgeber werden in einem nicht unerheblichen Grad von den Krankheitsfolgekosten entlastet.

X.2. Akutbehandlungen im Krankenhaus

Ein Drittel aller für Akutbehandlungsfälle und Zweidrittel aller Kosten für die stationären Behandlungstage im Akutkrankenhaus werden durch psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen verursacht. Umgekehrt bedeutet dies, dass zwei Drittel aller Akutfälle im Krankenhaus wegen eher kürzerer Verweildauern lediglich ein Drittel der Kosten für akutstationäre Behandlungen auslösen.

24,3% aller Einsparungen bei den Ausgaben für stationäre Akutbehandlungen gehen zu Lasten der somatischen Krankheitsbilder und 75,7% der reduzierten Kosten werden durch seltenere und kürzere Akutaufenthalte bei psychischen Erkrankungen „erwirtschaftet“. Ein besonders hoher Anteil der Einsparungen kann den Patienten gutgeschrieben werden, die in der Anamnese wegen Angststörungen ins Krankenhaus eingewiesen werden mussten. 81,5% aller reduzierten Behandlungskosten im Akutkrankenhaus sind dadurch entstanden, dass kaum noch Patienten mit diesen Behandlungsdiagnosen ins Krankenhaus eingeliefert wurden und im Behandlungsfall dort wesentlich kürzere Aufenthaltszeiten hatten.

Die Reduktion der Akutaufenthalte und der damit verbundenen erheblichen Behandlungskosten konnte erreicht werden durch eine weitgehende gesundheitliche Stabilisierung der Patienten, sodass Akutaufenthalte nur noch sehr selten oder bei ausgeprägter medizinischer Indikationsstellung erfolgten. Die KH Kosten je Patient  waren im Zeitraum von zwei Jahren nach der psychosomatischen Behandlung um 45,41% deutlich geringer als im Voruntersuchungszeitraum.

X.3. Ambulante ärztliche Versorgung

Die  grössten monetären Veränderungen ergeben sich bei den Fachärzten für Allgemeinmedizin in Höhe von € 326,91, gefolgt von den Fachärzten für Innere Medizin von € 186,40. An dritter Stelle folgen die Neurologen/Psychiater mit einer Reduktion von € 108,51. Es sei vorsichtshalber noch einmal darauf hingewiesen, dass diese Beträge auf den einzelnen Patienten unserer Untersuchungsstichprobe bezogen sind und sich jeweils auf einen Zeitraum von zwei Jahren bezieht.  Bei den Kontakten mit Psychologen und Psychotherapeuten resultiert entsprechend der gestiegenen Kontaktfrequenz eine Zunahme der Ambulanzkosten von € 80,68 je Patient.

Insgesamt verändern sich die monetären Aufwendungen für die Praxiskontakte von € 3.053,00 in den beiden Jahren vor der stationären Psychotherapie auf 2.465,96 je Patient unserer Untersuchung. Diese Kostenersparnis von € 587,04 entspricht einer Reduktion 19,22% der prästationären Ausgaben für diesen Versorgungsbereich. Unter einer statistischen Perspektive sind diese Veränderungen als systematisch anzusehen.

Wenn man einmal die Hauptgruppen Akutmedizin und Psychologie/Psychotherapie betrachtet, vermindern sich die akutmedizinischen Kontaktausgaben um € 667,72 je Patient. Dies entspricht einer Reduktion von 28,60 Prozent. Die Aufwendungen für den Bereich Psychologie/Psychotherapie steigen, wie oben bereits erwähnt um € 80,68 im nachstationären Beobachtungszeitraum.

X.4. Medikamentöse Versorgung

Unter Bezugnahme auf die veränderten medikamentösen Verordnungen, auf die veränderten Kosten je Verordnung und auf das Preisniveau der verordneten Medikamente haben wir für einzelne Zeitfenster die Medikamentenkosten je Patient unserer Projektstichprobe berechnet. In dem von uns exakt ermittelten Zeitfenster von 4 Wochen vor der Anamnese und vor der Katamnese ergeben sich Aufwendungen von 73,15€ je Patient im Voruntersuchungszeitraum und von 61,60€ in der Katamnese. Die Differenz beträgt 11,55€ je Patient und 2.574€ für alle 223 nachuntersuchten Projektpatienten. Diese Veränderungen sind auf dem 0,1%-Niveau signifikant. Zur Abschätzung eines längerfristigen Konsumverhaltens und bei Konstanz der entsprechenden Verordnungen summiert sich die Kostenersparnis in einem 12-Monatszeitraum auf 30.133€ und bei einem Zeitraum von zwei Jahren erreicht die Differenz der Ausgaben für die medikamentösen Behandlungen einen Betrag von 61.758€. Bezogen auf den einzelnen Patienten ergibt sich aus der Reduktion der medikamentösen Behandlungskosten in der Gesamtstichprobe eine Verminderung der Ausgaben von 277,07€ je Patient. Das entspricht einer Reduktion um 15,78% der prästationären Ausgaben für die medikamentöse Behandlung.

X.5. Gesamte Krankheitskosten im Vergleich

Die Krankenkassen profitieren unter monetären Aspekten in zwei Bereichen von qualifizierten verhaltensmedizinischen Behandlungen: Die direkten Behandlungskosten für die medizinische Versorgung (Aufenthalte im Akutkrankenhaus, Medikamente, ambulante ärztliche Versorgung) vermindern sich um 27,93% und die Krankengeldzahlungen, die im Voruntersuchungszeitraum noch 5.442,80€ je Fall betrugen, reduzieren sich auf 1.551,00€ im katamnestischen Krankheitsverlauf. Die verminderte Summe von 3.891,80€ je Fall entspricht einer Einsparung um 71,50%.

Unter Einbeziehung aller Bereiche ergeben sich Veränderungen der für den Arbeitgeber relevanten Krankheitskosten (Lohnfortzahlungen und Produktivitätsverluste) von 57,75%. Dies sind weniger Ausgaben für AU bedingte Ausfälle von 15.637,23€ je erwerbstätigem Projektteilnehmer.

Die Gesamtkosten für die Arbeitgeber und die Krankenkassen im Voruntersuchungszeitraum mit einem Volumen von 39.769,64€ verringern sich als Folge der verhaltensmedizinischen Behandlung um 21.554,60€ auf 18.215,04€ in der zweijährigen Zeitspanne nach der Psychotherapie. Dies entspricht einer Reduktion von 54,19%.

Diese Verteilung macht deutlich, daß die verschiedenen Sozialpartner in einem volkswirtschaftlichen Geflecht gleichermaßen an den Einsparungen teilhaben. Nicht nur die Krankenkassen, sondern auch die Arbeitgeber werden in einem nicht unerheblichen Maße von den Krankheitskosten entlastet.

XI. Kosten-Nutzen-Aspekte

Gesundheitsökonomische Evaluationen rufen neben der Hoffnung auf faire Bewertungen und Optimierung bestehender Programme auch vielerlei Ängste hervor, im Spiegel der angelegten Messlatten entweder nicht bestehen zu können oder unfair bewertet zu werden. Im Vorfeld von entsprechenden Evaluationsaktivitäten ist es in ganz besonderer Weise erforderlich, mit den in einem Evaluationsprogramm involvierten Interessenträgern („Stakeholder“) die möglichen Kriterien abzustimmen, auf deren Basis Ergebnisse akzeptiert werden können. Prinzipiell zählen hierzu die direkt Betroffenen wie Patienten aber auch das Versorgungs- und Interventionspersonal, und die indirekt Betroffenen wie die Kosten- und Leistungsträger (Krankenkassen und Rentenversicherungsträger), Gesundheitspolitiker und die wissenschaftliche und die allgemeine Öffentlichkeit. Neben den wissenschaftlichen Anforderungen und Prinzipien gilt es, auch diese „Stakholderinteressen“ angemessen zu berücksichtigen. Was nützt eine methodisch bestangelegte Evaluationsstudie, die vornehmlich von theoretischen Interessen geleitet wird und von den „Umsetzern“ im Gesundheitssystem als realitätsfern bewertet und als kaum umsetzbar angesehen wird! Die vertrauensvolle und sachgerechte Zusammenarbeit der „Stakeholder“ dieser Studie sowohl bei der Projektplanung, der Umsetzung der Erhebungen, der Durchführung qualifizierter Behandlungen in den Kliniken und bei der Festlegung von Auswertungsschwerpunkten hat dazu geführt, Kriteriumsmasse für alle wesentlichen Interessenebenen festzulegen, die erwartbar auch bei Vorlage der Ergebnisse noch akzeptiert werden. Dies wurde nicht zuletzt dadurch erreicht, das es gelungen ist, die verschiedenen Projektphasen transparent zu gestalten und über ein internes Forum im Internet den Beteiligten die Möglichkeit zu eröffnen, spezifische Interessen und Bedürfnisse einzubringen.

Die Krankheitskosten vermindern sich zwischen den beiden Beobachtungszeiträumen um 21.554,60€ je Patient. Diese Reduktion muss in Relation gesetzt werden zu den Kosten der stationären verhaltensmedizinischen psychosomatischen Behandlungen. Zugrundegelegt wurden die durchschnittlichen Tagespflegesätze der drei beteiligten Kliniken während der Behandlungsjahrgänge der Projektstichprobe. Bei einem durchschnittlichen Pflegesatz von 110€ pro Behandlungstag und einer mittleren Aufenthaltsdauer von 51,60 Tagen in der psychosomatischen Klinik kostet die stationäre Behandlung und Rehabilitation 5.676€ pro Patient. Unter Einbeziehung aller Kostenfaktoren und der erreichten Reduktion der Krankheitskosten in der Katamnese in Höhe von 21.554€ ergibt sich bei stationären Behandlungskosten (Investition) eine Kosten-Nutzen-Relation und 1 : 3,79. Das bedeutet, dass bei einer Investition von 1 EURO in die stationäre psychosomatische Behandlung und Rehabilitation eine Reduktion der Krankheitskosten und der Krankheitsfolgekosten von EURO 3,79 erzeugt wird.

Eine abschliessend durchgeführte Opportunitätsanalyse auf der vergleichenden Grundlage betriebswirtschaftlich ermittelter Produktivitätberechnungen von gewerblichen Arbeitnehmern ergibt einen Nettonutzen von 48.224€ je Behandlungsfall. Dieser Ansatz der Opportunitätsanalyse unter Nutzung betriebswirtschaftlicher Grundlagen zur Produktivität kann möglicherweise dazu beitragen, die Akzeptanz für systematische Evaluationen im Gesundheitswesen zu erhöhen und die Ergebnisqualität auch unter einer gesundheitsökonomischen Perspekte stärker in der Vordergrund zu rücken.